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Kaltes Grab

Titel: Kaltes Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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gekämpft hätte.
    Hatte also tatsächlich jemand unglaubliches Glück gehabt? Oder hatte die Leiche des Schneemanns schon die ganze Nacht in der Parkbucht gelegen, vor den Augen all jener, die diese Straße benutzt hatten? Cooper seufzte. Er musste Diane Fry sagen, dass sie ihr Zeitfenster ändern musste.
    Vom Snake Inn aus war es kein großer Umweg von der Manchester Road in den Woodland Crescent in Edendale. In Wahrheit war es sogar eine Abkürzung. Cooper fuhr zunächst den Crescent bis zum Ende, wendete, fuhr wieder zurück und sah sich dabei um, ob Alison Morrissey und Frank Baine irgendwo in der Nähe des Bungalows der Lukasz’ herumlungerten. In der Einfahrt stand wieder der blaue BMW. Seine Windschutzscheibe war frei von Schnee und Eis, was darauf schließen ließ, dass jemand damit gefahren war und ihn erst vor kurzem dort abgestellt hatte. Wenn Peter Lukasz seine Schicht im Krankenhaus eben erst beendet hatte, dann war jetzt eine gute Gelegenheit, ihn zu erwischen.
    »Wir sind mittlerweile gefragte Leute«, stellte Lukasz fest, als er die Tür öffnete. »Manche Leute merken einfach nicht, dass sie unerwünscht sind.«
    »Ich dachte nur, vielleicht ist der Zeitpunkt jetzt günstiger, um mit Ihrem Vater zu sprechen«, sagte Cooper.
    »Dafür gibt es keinen günstigen Zeitpunkt.«
    »Können wir es nicht wenigstens versuchen? Nur ganz kurz?«
    »Na schön. Wenn Sie mir dann eher glauben.«
    Zygmunt Lukasz saß im Hinterzimmer an einem kleinen Tisch, vor sich einen aufgeschlagenen DIN-A4-Block mit liniertem Papier, auf den er etwas mit einem dicken Kugelschreiber schrieb. Eine Zeile nach der anderen füllte sich mit dichtem Gekritzel in seiner schnörkeligen Handschrift. Cooper fiel auf, dass die beiden mittleren Finger an der linken Hand des alten Mannes fehlten und dass an der Stelle, wo sie oberhalb des untersten Gelenks abgetrennt waren, zwei Stummel saßen.
    »Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen, Mr Lukasz?«
    Der alte Mann sah nicht einmal auf, sondern sagte nur ein paar Worte in einer Sprache, die sich für Cooper wie Polnisch anhörte. Cooper blickte fragend zu seinem Sohn hinüber, dem das Ganze ein bisschen peinlich zu sein schien.
    »Mein Vater meint, er hat Ihnen nichts zu sagen.«
    »Haben Sie ihm erklärt, weshalb ich hier bin?«, fragte Cooper.
    »Natürlich.«
    Dann sagte der alte Mann wieder etwas, diesmal mit mehr Nachdruck.
    »Und das heißt?«
    »Er meint, die Kanadierin soll sich zum Teufel scheren«, antwortete Peter. »Entschuldigung.«
    »Hat er ›Entschuldigung‹ gesagt?«
    »Nein. Ich.«
    Der alte Mann schrieb weiter. Der Stift bewegte sich langsam, aber gleichmäßig, füllte die Seite mit kräftigen, schwarzen Buchstaben, die dahinflossen und einander überschnitten, bis sie ein kompliziertes Geflecht geschaffen hatten, in dem jedes Wort mit den Worten darüber und darunter verwoben war. Cooper sah zu, wie Zygmunt den unteren Rand der Seite erreichte, umblätterte und praktisch ohne Unterbrechung weiterschrieb.
    »Warum weigert sich Ihr Vater, mit mir Englisch zu sprechen?«, fragte Cooper.
    Peter trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Einen Augenblick herrschte Stille, bis auf das leise Kratzen des Stiftes. Dann setzte der Alte einen Punkt an das Satzende und hob zum ersten Mal den Blick. Das Blau seiner Augen war so blass, dass es beinahe fahlgrau wirkte. Nur der Himmel an einem Wintermorgen konnte ein solches Blau annehmen, an einem klaren, kalten Tag, vom Hochmoor aus gesehen.
    »Das verstehen Sie nicht«, sagte Peter.
    »Ich weiß, dass Mr Lukasz sehr gut Englisch spricht. Er versteht, was ich sage. Aber er besitzt nicht die Höflichkeit, mir in einer Sprache zu antworten, die auch ich verstehen kann.«
    »Das hat nichts mit Höflichkeit zu tun. Mein Vater glaubt, dass er nicht mehr in der Lage ist, in zwei Sprachen gleichzeitig zu denken. Er arbeitet auf Polnisch, deshalb denkt er auch auf Polnisch. Natürlich versteht er, was wir sagen, aber sein Verstand ist nicht mehr imstande, seine Gedanken in eine andere Sprache zu übersetzen.«
    »Schade, dass er vergessen hat, mit anderen Menschen so zu kommunizieren wie mit seinen englischsprachigen Kameraden in der Sugar Uncle Victor«, sagte Cooper und hielt dem Blick des alten Mannes stand. Mit Genugtuung nahm er wahr, wie sich die blauen Augen einen Moment schmerzlich verfinsterten, als hätte sich die Öffnung in einer Wolkendecke kurz geschlossen, bevor sie wieder aufriss.
    »Ich bitte Sie«, sagte Peter. »Ich

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