Kaltes Herz
Boden, Kniete sich auf ihre Oberarme. Henriette schrie vor Schmerz und vor Angst, doch sie schrie nicht lange, weil er seine Hände um ihren Hals legte und zudrückte. Das Letzte, was sie sehen würde, war Heinz Grafs schwitzendes, verzerrtes Gesicht, und das Letzte, was sie hören würde, sein Keuchen und Fluchen. Und das Bellen eines Hundes. Ein letztes Mal bäumte Henriette sich auf, ein Lächeln huschte über Heinz Grafs Gesicht, und sie wussten beide, gleich würde es vorbei sein. Etwas Schwarzes zuckte durch Henriettes Gesichtsfeld, wie ein Schatten, der sie holen kam, und Heinz Grafs Kopf flog zur Seite.
Plötzlich ließ er ihren Hals los, und Henriette würgte, bevor es ihr gelang, Luft in ihre Lungen zu zwingen. Sie rollte sich weg, lag im Laub, blickte durch einen Tunnel aus Nebel auf einen kleinen Flecken Welt. Und in diesem Fleckchen erkannte sie Hund. Mit den Zähnen hielt er Heinz Grafs Kehle fest und ließ ein tiefes, anhaltendes Knurren hören. Dann legten sich Arme um sie, richteten sie auf, und Henriette drückte ihr Gesicht in ein Jackett, das einen vertrauten Duft ausströmte.
«Charlie, wir müssen den Violinkoffer holen.»
Hetti saß gegen einen Baumstamm gelehnt auf einer Wolldecke, eine zweite Decke um die Schultern geschlungen. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Charlie blickte sich um, konnte aber keinen Violinkoffer entdecken. Dennoch nickte er. «Natürlich, das machen wir.»
Einige Bäume weiter saß der Fahrer, Charlie hatte das Zugband aus dem Wäschebeutel genommen, hatte es um sein eines Handgelenk gebunden und ihm den Arm auf den Rücken gedreht. Erst dann hatte er Hund erlaubt, seine Kehle loszulassen. Er hatte die Hände des Fahrers hinter dem Baumstamm zusammengebunden, und dort würde er sitzen bleiben müssen, bis Charlie Hilfe geholt hatte.
Er machte beruhigende Geräusche, flößte Hetti kleine Schlucke des inzwischen kaltgewordenen Tees ein. Sie zitterte unkontrolliert, kaum fähig zu sprechen, und dennoch wiederholte sie:
«Du musst den Koffer holen!»
Charlies Glück, Hetti gefunden zu haben, wurde von der Wut auf dieses Vieh getrübt, das sie beinahe umgebracht hatte, und von der Angst um sie. Da waren ihre Augen, nach denen er sich so gesehnt hatte, ihre schwarzen Augen, die sanft blicken konnten oder wütend, in denen das Lachen so lebendig funkelte, wenn sie fröhlich war. Doch jetzt waren ihm diese Augen fremd, sie hatte einen verzweifelten Ausdruck, und Charlie fürchtete, dass die Seele dahinter die Schwelle zum Wahnsinn überschritten hatte. Was hatte sie erlebt, was hatten diese Augen gesehen, dass sie so matt geworden waren? Das waren nicht die tiefen Brunnen, die er gesucht hatte, das waren nur noch schwarze Knöpfe, die ihn anblickten. Und ihre Wangen waren eingefallen, sie hatte abgenommen, viel zu viel.
«Ich werde den Koffer holen, keine Sorge», sagte Charlie, ohne zu wissen wovon sie sprach.
Hätte er oben am Waldrand nur nicht so lange gezögert, wäre er dem Fahrer nur sofort den Hang hinunter gefolgt, ohne Sicherheitsabstand. In dem Moment, als Hetti aus dem Viehunterstand herausgekommen und Heinz Graf seine Schritte beschleunigt hatte, hatte er geahnt, was geschehen würde. Er war losgerannt, aber der Fahrer hatte einen großen Vorsprung gehabt.
«Lauf, Hund!», hatte er gerufen. «Fass!»
Als Hetti erschöpft die Augen schloss, stand Charlie auf und gab Hund ein Stück Brot und Käse aus dem Wäschebeutel, Hetti würde in den nächsten Tagen oder Wochen außer Brühe, Haferschleim oder Tee ohnehin nichts schlucken können.
«Das hast du gut gemacht, Hund», sagte er, «fein gemacht», und klopfte ihm anerkennend die Flanke.
Hund wedelte mit dem Schwanz und schien zu lächeln. Dann rollte er sich neben Hetti zusammen und legte seine graue Schnauze auf ihre ausgestreckten Beine, und Hetti legte ihre große, schöne Hand auf seinen Kopf.
«Danke, Hund», flüsterte sie mit geschlossenen Augen.
Als Charlie Hetti und Hund so zusammen an dem Baumstamm sitzen sah, das junge Mädchen und das alte Tier, beide erschöpft und an den Grenzen ihrer Kräfte und beide so ruhig und ergeben, da hatte er das sichere Gefühl, dass es gut werden und Hetti darüber hinwegkommen würde, was immer ihr geschehen war. Einen winzigen Moment lang war er eifersüchtig, fühlte sich ausgeschlossen, doch das Gefühl wich sogleich einer tiefempfundenen Dankbarkeit. Er hatte sie gefunden. Sie lebte. Alles andere war gleichgültig.
«Hund», sagte
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