Kaltgestellt
Pause fort, während er sie aus hellen blauen Augen intensiv ansah. Merkwürdigerweise kam das Paula überhaupt nicht aufdringlich vor. Ohne die Brille schien das ›Ohr‹ ein ganz anderer Mensch zu sein. Unter seiner großen Nase, die jetzt noch gebogener wirkte, sah Paula einen dünnen, festen Mund und ein spitzes Kinn. Die Wangenknochen standen etwas hervor, und die buschigen, dunklen Augenbrauen waren leicht angehoben. Irgendwie erinnerte der Mann sie an eine Figur aus einem Roman von Charles Dickens.
»Es soll mir ein Vergnügen sein, daß die junge Dame anwesend ist«, verkündete das ›Ohr‹ schließlich. »Schickes Kostüm haben Sie da«, sagte er an Paula gewandt.
»Ich mag Frauen, die wissen, wie man sich elegant kleidet.«
»Unser Besucher scheint kein Blatt vor den Mund zu nehmen«, sagte Marler rasch.
»Das stört mich nicht«, sagte Paula lachend. »Wer weiß, vielleicht sagt er ja die Wahrheit?«
»Und was für praktische Schuhe Sie tragen«, fuhr das ›Ohr‹ fort.
»Gerade richtig, um sich sicher und leise zu bewegen.« Diesem Mann entgeht wohl überhaupt nichts, dachte Paula, die ihre Beine übereinander geschlagen hatte, weshalb auch die Gummisohle eines ihrer Schuhe sichtbar war. Marler zog einen Stuhl für den Gast heran, während dieser Paula die Hand gab. Er hatte einen festen Händedruck. »Ich heiße Kurt Schwarz.«
»Ich nehme mal an, es macht Mr. Schwarz nichts aus, wenn ich Ihnen verrate, daß er aus der Schweiz kommt«, sagte Marler.
»Und zwar aus Basel.« Marler nahm den beiden anderen gegenüber Platz. Kurt Schwarz legte den alten Schlapphut, der Teil seiner Verkleidung gewesen war, auf den Boden. Er trug eine schäbige Windjacke, die an den Ärmeln geflickt war, und Jeans, die ihre besten Tage ebenfalls längst hinter sich hatten. Unter dem spitzen Kinn hüpfte ein hervorstehender Adamsapfel auf und ab, was Paula gleich wieder an eine Dickens-Figur denken ließ. Schwarz nahm die Weinflasche in die Hand, betrachtete das Etikett und stellte sie dann wieder zurück auf den Tisch.
»Nicht schlecht, könnte aber besser sein«, sagte er zu Marler.
»Sie müssen ihn nicht trinken.«
»Ich will nicht unhöflich sein. Außerdem würde ich gern auf das Wohl der reizenden jungen Dame anstoßen.«
»Immer noch der alte Charmeur«, sagte Marler. »Wo haben Sie übrigens diese alten Klamotten her? Sie sehen ja aus wie ein Landstreicher.«
»Auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt habe ich mich bei einem Trödler absetzen lassen, wo ich diese Sachen gekauft habe. Ich habe mich dann auf einer öffentlichen Toilette umgezogen.«
»Sie sprechen ein ausgezeichnetes Englisch, Kurt«, bemerkte Paula.
»Ich habe zwei Jahre in Hammersmith verbracht. Gibt es das eigentlich immer noch?«
»Leider ja.«
»Nun, im Vergleich zu vielen Vierteln von Paris ist Hammersmith die reinste Nobelgegend. Tja, die Slums, in denen ich verkehre, sind nicht gerade Touristengebiete.« Er sah zu, wie Marler mit einem trendy Korkenzieher versuchte, die Flasche zu öffnen.
»Ich könnte den Korken mit den Zähnen herausziehen«, sagte er.
»Mit Ihrem künstlichen Gebiß wird das wohl nicht möglich sein.«
»Sie Scherzbold.« Nachdem Marler den Wein eingeschenkt hatte, hob Kurt Schwarz sein Glas.
»Auf die hübsche Paula. Möge sie ein langes und glückliches Leben haben.«
»Vielen Dank«, sagte Paula und stieß mit ihm an. »Was haben Sie eigentlich mit Ihren anderen Kleidern gemacht?«, fragte Marler.
»Die habe ich in der Leinentasche hier.« Er griff nach unten und holte aus der Tasche eine schwarze Baskenmütze hervor, die er sich auf den dichten grauen Haarschopf setzte. Abermals hatte Paula das Gefühl, in einem Roman von Dickens zu sein. Sogar die rauhe, aber warme Stimme von Schwarz paßte zu diesem Bild. »Kommen wir zum Grund meines Besuchs.«
»Ich bin gespannt«, erwiderte Marler.
»Die Amerikaner haben auf elektronischem Weg einhundert Millionen Dollar auf ein Konto der Zürcher Kreditbank in Basel überwiesen.«
»Sind Sie sich sicher, daß das stimmt?«
»Natürlich. Eigentlich dürfte ich es Ihnen ja gar nicht erzählen, aber ich kenne einen Kassierer in der Bank, der mich mit Informationen versorgt. Gegen Bezahlung, selbstverständlich.«
»Ich bin sprachlos«, sagte Paula.
»Die Amerikaner müssen eine Art geheimer Basis in der Gegend von Basel unterhalten. Nicht in der Stadt selbst, sondern irgendwo außerhalb«, fuhr Schwarz fort und wandte sich an Paula.
»Sie wissen
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