Kaltgestellt
hatte, kam ihr das verhaßte Gesicht dieses Glatzkopfs ganz nahe.
»Lange hältst du das nicht aus, Baby. Also sag mir lieber, wie dein Boss heißt. Schließlich ist das ja nur meine erste Frage.«
»Benson.«
»Und schon wieder geht’s hinauf.«
Paula wurde abermals so weit nach oben gerissen, daß sie mit dem Kopf fast den Balken berührte. Wieder ließ er sie wie eine Glocke hin und her schwingen. Paula verdrehte den Kopf und blickte nach unten. Ihr Peiniger stand etwa einen Meter von dem Balken entfernt. Paula zog die Knie an und begann durch Verlagerung des Gewichts, noch stärker zu schwingen, was sie ohne ihr Training im Fitneßcenter wohl nie hingekriegt hätte. Dann, als sie wieder zurückschwang, streckte sie die Beine aus und öffnete sie so weit wie möglich. Der Glatzkopf, der mit dieser Aktion nicht gerechnet hatte, starrte sie ungläubig an, als die Kette zwischen Paulas Füßen sich direkt unterhalb des Kinns um seinen Hals legte. Geistesgegenwärtig ließ er das Ende der Kette los, aber damit hatte Paula gerechnet. Sie hoffte nur, daß sie sich beim Sturz auf den Holzboden nicht das Genick brechen würde. Zum Glück landete sie auf einem der Sofas, die in der Nähe der Falltür standen. Während ihres Sturzes hatte Paula die Füße fest zusammengepreßt und den Hals des Glatzkopfs nicht aus ihrer Umklammerung gelassen. Jetzt war sie es, die ihm mit der Kette die Luft abschnüren konnte. Ihr Peiniger, den sie bei ihrem Fall zu Boden gerissen hatte, lag auf der Falltür und versuchte mit beiden Händen die Kette zu lösen, die Paula immer fester zusammenzog. Verzweifelt nach Luft schnappend, begann er unkontrolliert mit den Beinen zu zappeln und trat dabei mit einem Fuß gegen den Hebel hinter der Falltür. Sofort klappte diese nach unten weg. Paula hatte gerade noch Zeit, die Beine zu öffnen, damit die Spannung der Kette zwischen ihnen nachließ. Das Kinn des Glatzkopfs rutschte unter ihren Gliedern hindurch. Dann verschwand sein schwerer Körper in der schwarzen Tiefe. Paula hörte einen heiseren Schrei, dann ein lautes Platschen und schließlich nichts mehr. Paula zwang sich, ruhig zu bleiben. Mit kontrollierten Bewegungen befreite sie sich von der Kette und kroch zittrig auf den Rand der Falltür zu. Sie hörte das Geräusch von fließendem Wasser, konnte in der Dunkelheit aber nichts sehen. Paula rappelte sich hoch, ging hinüber zu ihrer Tasche und holte daraus ihre Browning und eine kleine Taschenlampe hervor. Sie leuchtete in die Dunkelheit hinab. Wie sie schon vermutet hatte, floß unmittelbar unter dem Lagerhaus die Themse entlang. Nun wußte sie, was der Glatzkopf mit seiner Anspielung auf das Wasser gemeint hatte. Wahrscheinlich hatte er vorgehabt, sich auf diese Weise ihrer Leiche zu entledigen. Nun hatte die Strömung ihn selbst mit sich gerissen. Nachdem Paula die schwere Kette in den Fluß geworfen hatte, streifte sie sich ihren Mantel über. Dann ging sie zu der Tür am Ende des Lagerhauses, in deren Schloß ein rostiger Schlüssel steckte. Sie drehte ihn mit Mühe herum und zog dann den schweren hölzernen Riegel zurück. Mit der schußbereiten Browning in der einen Hand schob sie mit der anderen die Tür einen Spaltbreit auf und spähte vorsichtig nach draußen. Paula sah eine leere Straße mit Kopfsteinpflaster, an der mehrere verfallene Gebäude standen. Eine Laterne zwischen ihnen beleuchtete ein Straßenschild: Eagle Street. Links von Paula endete die Straße am Ufer der Themse, deren dunkle Fluten das wenige Licht der Laterne reflektierten, während sie rechts zu einer etwas breiteren Querstraße führte. Paula trat aus dem Lagerhaus hinaus und ging auf die Straße zu. Nirgends war ein Mensch zu sehen. Als Paula die Querstraße erreicht hatte, sah sie, daß sich dort ein Taxi näherte. Paula winkte dem Taxi. Der Fahrer hielt an und musterte sie im Licht einer Straßenlaterne eingehend.
»Was hat eine vornehme Dame wie Sie bloß in dieser Gegend verloren?«, fragte er mit einem Blick auf Paulas eleganten Mantel und ihre teuren Schuhe.
»Ich hatte einen Streit mit meinem Freund. Er hat mich aus dem Auto geworfen und ist weggefahren.«
»Dann sollten Sie sich vielleicht nach einem neuen Freund umsehen. Wo soll’s denn hingehen?«
»In die Park Crescent, bitte. Gegenüber vom Regent’s Park.«
10
Zu ihrer großen Erleichterung sah Paula, daß im Büro noch Licht brannte. Sie hatte sich schon gedacht, daß Tweed noch länger arbeiten würde, aber als sie oben war, traf
Weitere Kostenlose Bücher