Kaltgestellt
nichts mehr gegessen. Ich breche vor Hunger zusammen.« Die alte Frau hatte verfilztes graues Haar, das aussah, als wäre es seit einer Ewigkeit nicht gewaschen worden. Ihre Kleidung war zerlumpt und wurde an manchen Stellen nur noch von Sicherheitsnadeln zusammengehalten. Die Frau sah Paula aus dunklen Knopfaugen flehentlich an und schien am Ende ihrer Kraft zu sein. Die dünnen Lippen zitterten ebenso wie die knochige Hand. Paula griff mit beiden Händen in ihre Umhängetasche und suchte nach ihrer Geldbörse. Dabei blickte sie auf das Pflaster vor sich, auf das eine Straßenlaterne ihren Schatten warf. Auf einmal erstarrte sie. Da waren zwei Schatten zu sehen. Weil sie mit beiden Händen nach ihrer Geldbörse gekramt hatte, kam Paula nicht schnell genug an ihre Browning heran, die in einem Spezialfach steckte. Eine rauhe Hand packte sie am Genick und sie trat mit einem Fuß nach hinten, wo sie ein Schienbein traf. Dann spürte sie, wie ihr etwas Weiches auf Nase und Mund gepreßt wurde, und roch den beißenden Geruch von Chloroform. Sie versuchte die Luft anzuhalten, aber es war zu spät. Sie hatte schon zu viel von dem betäubenden Gas eingeatmet. Das Gesicht der alten Frau, die den Mund auf einmal zu einem fiesen, zahnlückigen Grinsen verzog, begann vor Paulas Augen zu verschwimmen. Wie in einem Traum sah sie, daß eine Autotür geöffnet wurde. Dann wurde es ihr auf einmal schwarz vor den Augen, und sie verlor das Bewußtsein. Paula hielt die Augen fest geschlossen. Sie fühlte sich wie besoffen und es war ihr, als müßte sie sich übergeben. Offenbar saß sie auf einer Art Couch, deren Polster ziemlich durchgesessen waren. Es war eiskalt. Paula zwang sich, still zu sitzen. Auf einmal hörte sie, wie Schritte über einen Holzboden auf sie zukamen. Sie öffnete erst eines, dann beide Augen. Ein paar Meter von ihr entfernt befand sich ein kleiner, stämmiger Mann mit einer Glatze. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Der Raum, in dem sie auf dieser Couch saß, war groß und hoch. Er kam Paula wie ein altes Lagerhaus vor. Als der Mann sich umdrehte, schloß Paula schnell wieder die Augen. Bei ihrem kurzen Blick auf ihr Gefängnis war ihr ein dicker Balken aufgefallen, der in etwa drei Metern Höhe über die ganze Breite des Lagerhauses lief. Über dem Balken hing eine glänzende neue Kette mit etwa sechs Zentimeter langen Gliedern. Obwohl Paula eine bleierne Müdigkeit verspürte, zwang sie sich, wach zu bleiben. In einiger Entfernung hörte sie den Mann wieder umhergehen. Ohne die Füße zu bewegen, versuchte sie die Zehen zu spreizen, um wieder etwas Gefühl in ihre tauben Glieder zu bekommen. Als sie den Mann vorhin gesehen hatte, hielt er eine Pistole in der Hand. Eine Colt Automatik. Paulas eigene Waffe war in ihrer Umhängetasche, aber die war weiß Gott wo. Das Geräusch der Schritte kam wieder näher, und als es verstummte, wußte Paula, daß der Mann direkt vor ihr stand und auf sie herabblickte. Noch immer hielt sie die Augen geschlossen und bewegte sich nicht. Als der Mann anfing zu sprechen, erkannte sie an seinem Akzent, daß er ein Amerikaner war. »Aufwachen, Lady! Es ist an der Zeit, daß wir etwas Spaß miteinander haben. Aber zuerst hätte ich noch ein paar Fragen, die du mir beantworten mußt. He, was ist los mit dir, verdammt noch mal? Wach auf!« Der Mann schlug ihr mit seiner groben Hand ein paar Mal ins Gesicht, und Paula ließ dabei den Kopf zur Seite fallen. Ich muss erst richtig zu mir kommen, bevor ich ihm zeige, daß ich wieder bei Bewußtsein bin, dachte sie. Schließlich hörte der Mann auf, sie zu schlagen, und fluchte gotteslästerlich. Als Paula vernahm, daß seine Schritte sich wieder entfernten, versuchte sie so tief wie möglich durchzuatmen, ohne sich dabei zu bewegen. Ich muss einen klaren Kopf bekommen, sagte sie sich. Dazu brauche ich Zeit. An dem muffigen Geruch in der kalten Luft erkannte Paula, daß das Lagerhaus lang nicht gelüftet worden war. Die Schritte bewegten sich wieder auf sie zu. Es sah nicht so aus, als würde man ihr viel Zeit lassen. »Wach auf, du blöde Schlampe!«, sagte der Mann vor ihr mit rauher Stimme.
»Sonst schütte ich dir einen Eimer Wasser über den Kopf. Dem Wasser kommst du übrigens so oder so nicht aus, ganz gleich, ob du redest oder nicht.« Innerlich zuckte Paula zusammen. Wovon redete der Mann? Seine letzten Worte bedeuteten bestimmt nichts Gutes. Dann spürte sie, wie der Mann sie bei den Schultern packte und heftig schüttelte. Paula
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