Kaltgestellt
Guy?«
»Schrecklich. Wirklich schrecklich«, sagte Strangeways mit zitternder Stimme. »Wie Sie sich sicher vorstellen können, habe ich als Offizier auf dem Schlachtfeld schon viele Tote gesehen, aber deren Anblick hat mir nur wenig ausgemacht. Wenn man so etwas an sich herankommen lässt, kann man seine Aufgaben nicht mehr erfüllen. Aber diese Bilder im Fernsehen waren etwas ganz anderes. Die sind mir wirklich unter die Haut gegangen.«
»Wer, glauben Sie, hat die Bombe gelegt? Eine Splittergruppe der IRA?«
»Schwer zu sagen. Davon gibt es ja so viele.« Er machte eine Pause. »Ganz zu schweigen von den anderen Terrororganisationen in der Welt. Es könnte so gut wie jede gewesen sein.« Paula hatte den Eindruck, als ob ihm das Thema überhaupt nicht behagte. Er trank seinen Tee und knabberte lustlos an einem Keks, während Paula, die ja kein Mittagessen gehabt hatte, mit großem Appetit aß. »Mich beschäftigt gerade ein ganz anderes Problem«, sagte Strangeways.
»Mein Sohn Rupert ist eine furchtbare Enttäuschung für mich. Nicht genug damit, daß er ein schrecklicher Weiberheld ist, jetzt hat ihn auch noch die Spielsucht gepackt.«
»So etwas kann ziemlich schlimm werden.«
»Sie sagen es. Und ich soll auch noch für seine gottverdammten Spielschulden aufkommen!«, sagte Strangeways und warf die Hände hoch.
»Entschuldigen Sie bitte. Ich bin zu laut geworden. Und dann habe ich auch noch in Gegenwart einer Dame geflucht. Verzeihen Sie. In dieser Hinsicht bin ich altmodisch.«
»Das weiß ich durchaus zu schätzen.«
»Erst neulich habe ich einen Anruf aus einem Casino in Campione bekommen. Das ist eine italienische Exklave in der Schweiz.«
»Ich weiß. Man erreicht sie mit dem Schiff von Lugano aus.«
»Nun, dieser Lümmel aus dem Casino hat doch glatt von mir verlangt, daß ich ihm einhunderttausend Pfund bezahle! Ich habe ihm gesagt, er könne von mir aus in den See springen, aber er behauptete steif und fest, daß Rupert ihn an mich verwiesen hat. Aber ich werde denen keinen einzigen Penny zahlen. Ich könnte es mir zwar leisten, aber Rupert soll die Suppe, die er sich eingebrockt hat, gefälligst selbst auslöffeln. Das habe ich ihm auch gesagt bevor er aus dem Haus gegangen ist. Er hat mich daraufhin einen Geizkragen geschimpft. Gerade habe ich ihn in seiner Wohnung in London angerufen, aber er ist nicht ans Telefon gegangen.«
»Das muss alles sehr ärgerlich für Sie sein.«
»Entschuldigen Sie. Ich habe Sie nicht hereingebeten, um Ihnen mit meinen kleinen Problemen auf die Nerven zu gehen. Essen Sie doch noch etwas!«
»Sie haben viel Besitz in den Vereinigten Staaten. Planen Sie eigentlich, dorthin zurückzukehren?«
»Nein, ich werde alles verkaufen und Amerika für immer Lebewohl sagen.«
»Tja, ich glaube, ich werde jetzt lieber wieder gehen. Sie haben sicher viel zu tun. Ich wollte ohnehin nur auf einen Sprung bei Ihnen vorbeischauen, denn ich habe anderswo noch eine wichtige Verabredung. Haben Sie vielen Dank für den Tee und die nette Gesellschaft. Ich habe beides sehr genossen.«
»Wie lieb von Ihnen, daß Sie das sagen. Ich werde Sie noch zu Ihrem Wagen bringen.« Paula griff nach unten, um ihren rechten Schuh zurechtzurücken. Irgendwie drückte er sie. Vielleicht kommt das vom Autofahren, dachte sie, während Strangeways ihr kurz darauf in den Mantel half. Dann ging er durch die Eingangshalle voraus und öffnete ihr die schwere Haustür. Mit Paulas Schuh war noch immer nicht alles in Ordnung. Als sie sich wieder bückte, um ihn richtig anzuziehen, hörte sie einen scharfen Knall. Eine Kugel prallte gegen den steinernen Türpfosten, vor dem sich Sekundenbruchteile zuvor noch Paulas Kopf befunden hatte, und sauste als Querschläger in die Auffahrt hinaus. Strangeways riß sie zurück ins Haus und trat mit dem Fuß die Tür zu. »Warten Sie hier«, sagte er im Befehlston, während er einen Schlüsselbund aus der Jackettasche nahm. »Ich laufe schnell zur Waffenkammer und hole mein Gewehr. Ich habe das Mündungsfeuer genau gesehen. Der Schuß ist vom Dach des Hauses gegenüber gekommen.« Paula atmete mehrmals hintereinander tief durch. Kurze Zeit später erschien Strangeways mit einer Flinte in der Hand. Seine Augen funkelten, aber er wirkte ruhig und kontrolliert. Er wollte gerade die Tür öffnen, als Paula ihn ansprach. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern mal telefonieren.«
»Tun Sie das. In der Bibliothek ist ein Telefon. Ich warte so lange hier.« In der
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