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Kalymnos – Insel deines Schicksals

Kalymnos – Insel deines Schicksals

Titel: Kalymnos – Insel deines Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Hampson
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streifte er mit den Fingern ihre Haut, aber wie schon damals, als sie sich zum ersten Mal die Hand gereicht hatten, reichte die kleine Geste aus, dass Julie für einen Moment alles um sich her vergaß.
    „Das körperliche Begehren sein, wolltest du sagen, oder?" Doneus' Direktheit holte sie wieder in die Gegenwart zurück.
    Dabei wollte seine sanfte Stimme so gar nicht zu den Worten passen, mit denen er Julies angefangenen Satz beendet hatte.
    „Aber warum denn nur?" Julie zwang sich, seinem Blick standzuhalten. „Irgendeinen Grund muss es doch geben!"
    „Selbstverständlich gibt es einen. Und einen guten obendrein", meinte er vieldeutig, bevor er beschloss, Julie, die ihn erwartungsvoll ansah, ein wenig auf die Folter zu spannen. „Du bist die Entschädigung für das, was man mir vor zehn Jahren genommen hat", stellte er schließlich fest, ohne dabei eine Miene zu verziehen.
    „Also wirklich nur aus Rache? Und dafür haben Sie zehn Jahre Ihres Lebens verschenkt?"
    Julie war elend zu Mute, aber auch Doneus schien sich gar nicht wohl in seiner Haut zu fühlen. Zumindest bildete Julie sich ein, dass er bei ihrer Frage zusammengezuckt war. Wie sollte sie sich nur einen Reim auf diesen Mann machen?
    „Ich habe durchaus auch an anderes als an Rache gedacht", erklärte er ihr nach kurzem Schweigen. Er sprach langsam, als würde er jedes Wort genau abwägen. „Aber je mehr Zeit verstrich, umso häufiger gingen meine Gedanken nach Belcliffe House und zu dem Mädchen, das mir versprochen war."
    Weniger das, was Doneus gesagt hatte, als vielmehr die Sonne, die ihr direkt ins Gesicht schien, war dafür verantwortlich, dass Julie den Blick senkte. „Trotzdem will es mir beim besten Willen nicht einleuchten, Doneus, und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Sie nicht mit offenen Karten spielen. Einstweilen weiß ich nur, dass unsere Ehe nichts weiter als eine Farce ist..."
    „Das lässt sich schnell ändern", unterbrach er sie und schien sich köstlich darüber zu amüsieren, dass Julie prompt errötete.
    Sie bemühte sich nach Kräften, seine Anzüglichkeit zu ignorieren. „... weil Sie nicht den geringsten Nutzen davon haben."
    „Immerhin empfinde ich so etwas wie Genugtuung für das, was man mir angetan hat, als ich so alt war, wie du jetzt bist."
    „Sie sind mir wahrlich ein Rätsel", erwiderte sie matt. „Und ich weiß gar nicht, warum ich mir die Mühe machen sollte, Sie zu verstehen?"
    Sein Lächeln war der beste Beweis für das, was sie gerade gesagt hatte. Und doch rührte es Julie ungeheuer an, denn es war weder ein höhnisches noch ein fröhliches, sondern eher ein verzweifeltes Lächeln, das Lächeln eines einsamen Menschen, der sein Leben in Armut fristete.
    Aber das stimmt doch nicht, rief sie sich in Erinnerung. Immerhin fünf Monate im Jahr war er mit seinen Kollegen zusammen, lauter mutigen Männern, die kein Risiko und keine Gefahr scheuten, ihr bescheidenes Auskommen zu verdienen. Nein, ganz so einsam war er nun auch wieder nicht.
    „Warum tust du es dann?" Seine entwaffnende Ehrlichkeit verwirrte sie einen Moment lang. Aber Doneus hatte ja Recht, sie zerbrach sich wirklich den Kopf über ihn.
    „Irgendwie muss ich die Zeit ja totschlagen", entgegnete sie trotzig.
    „Was würdest du denn gern tun, Julie?"
    Sie lächelte und zuckte hilflos die Schultern, bevor sie ehrlich antwortete: „Ich wünschte, ich könnte es Ihnen sagen." Unwillkürlich dachte sie an Belcliffe House, spürte jedoch instinktiv, dass die Melancholie, die sie schon seit geraumer Zeit empfand, nichts mit Heimweh zu tun hatte.
    „Ich glaube, ein Spaziergang würde mir jetzt gut tun", sagte sie schließlich und wunderte sich im selben Moment, dass Doneus' Miene sich schlagartig verfinsterte. Jetzt erst fiel Julie auf, dass er in der letzten Viertelstunde, oder wie lange ihre Unterhaltung gedauert haben mochte, geradezu glücklich gewirkt hatte, als wäre er dankbar dafür, dass sie ihm Gesellschaft leistete - auch wenn er sich alle Mühe gab, es sich nicht anmerken zu lassen. Und allem Anschein nach war ihm der Gedanke unerträglich, dass sie jetzt aufstehen und ihn allein lassen könnte. Er wusste so gut wie sie, dass ihre Antwort keinesfalls als Aufforderung gedacht war, sie zu begleiten.
    Deshalb brauchte sie doch kein schlechtes Gewissen zu haben! Warum hatte sie es dann?
    Doneus sah zu Jason, der aus seinem Mittagsschlaf erwacht war. Unversehens hellte sich seine Miene wieder auf, als wäre ihm etwas eingefallen.

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