Kalymnos – Insel deines Schicksals
versonnen aufs Meer hinaus, das friedlich unter einem wolkenlosen Himmel lag.
Dann sah sie blinzelnd zu Doneus. Er stand weiterhin auf der Klippe und sah in die Tiefe hinab. Woran er jetzt wohl denkt? fragte sie sich. An die Gefahren des Meeres? Sie malte sich aus, wie es wäre, wenn er eines Tages bei seiner Arbeit verunglückte. Dann würde er die Insel gar nicht mehr verlassen können. Und sie?
Er hatte fest versprochen, sie für fünf Monate gehen zu lassen. Und dazu musste er auch stehen ... Wer würde sich unterdessen um ihn kümmern?
„Hier draußen verliert man jegliches Zeitgefühl", riss seine Stimme sie aus ihren Gedanken. Doneus blickte sie an und erschrak, als er ihren Gesichtsausdruck sah.
„Stimmt etwas nicht, Julie?" fragte er besorgt.
„Alles in bester Ordnung", erwiderte sie, und immerhin gelang es ihr, ein wenig zu lächeln. Schließlich hatte er behauptet, in ihren Augen lesen zu können. Und was sie gerade gedacht hatte, musste er ja nun wirklich nicht wissen.
So ganz schien sie ihn jedoch nicht überzeugt zu haben, denn er schlug vor, sich auf den Heimweg zu machen.
Als sie später in ihrem spartanischen Bett lag, versuchte Julie, sich ihrer Gefühle für Doneus klar zu werden.
Nach reiflicher Überlegung kam sie zu dem Schluss, dass sie wohl vor allem Mitleid für ihn empfand. Zum einen, weil er seine Verlobte verloren hatte, zum anderen, weil er einsam zu sein schien und seine Armut ihn zwang, einem so gefährlichen Beruf nachzugehen. Und der Wunsch, alles zu tun, was in ihrer Macht stand, um ihm das Leben ein wenig erträglicher zu machen - natürlich ohne ihn ihre Motive merken zu lassen -, wurde übermächtig.
Als Erstes nahm sie sich vor, nicht mehr so herablassend zu ihm zu sein. Das bedeutete vor allem, dass sie ihn fortan duzen wollte. Schließlich war er ja nicht irgendein Fremder, sondern ihr Ehemann! Das bedeutete weiterhin, dass sie ihm nicht mehr so offensichtlich aus dem Wege gehen würde. Denn auch wenn seine Herkunft es nicht vermuten ließ, benahm er sich wie ein Gentleman, und auch an sein Versprechen, sie nicht zu belästigen, hatte er sich bis jetzt gehalten.
Bislang hatte Julie sich strikt geweigert, für ihn zu kochen, aufzuräumen oder gar die Wäsche zu waschen. Im Grunde genommen hatte sie nichts anderes gemacht, als die Zeit totzuschlagen und darauf zu warten, dass sie endlich wieder nach Hause fliegen und die Tage mit ihresgleichen und in dem Luxusverbringen zu können, den sie von Kindesbeinen an gewöhnt war.
Jetzt, da sie beschlossen hatte, sich anders zu verhalten, nahm sie klaglos all die Arbeiten in Angriff, die in England die Dienerschaft ihres Onkels für sie erledigt hatte.
Als Erstes putzte sie das Wohnzimmer von oben bis unten, ohne anschließend das Gefühl zu haben, es hätte sich dadurch irgendetwas geändert, denn der Fußboden war so kahl wie zuvor, und von den Wänden rieselte weiterhin der Putz.
Dann widmete sie sich Doneus' Zimmer. Sie staubte sämtliche Möbel ab und wechselte sogar die Bettwäsche. Jason, der wundersamerweise vor Doneus nach Hause gekommen war, sah ihr zu und wedelte vor Begeisterung mit dem Schwanz.
„Du brauchst gar nicht so zu gucken", ermahnte sie ihn scherzhaft. „Ich habe nämlich beschlossen, ein wenig netter zu deinem Herrchen zu sein."
Nachdem sie Doneus' Zimmer aufgeräumt hatte, fegte sie das restliche Haus aus. Dann setzte sie sich auf die Veranda, um sich einen Moment lang auszuruhen.
Jason schien sämtliche Scheu vor ihr abgelegt zu haben und legte sich ihr zu Füßen.
„Wenn du doch nur sprechen könntest, Jason. So gut, wie du dein Herrchen kennst, könntest du mir bestimmt erklären, was für ein Mensch er ist. Ich werde nicht so recht schlau aus ihm. Bislang habe ich ja nicht einmal verstanden, warum er mich geheiratet hat." Sie beugte sich zu dem Hund herunter und kraulte ihm den Hals. „Denn dass er das wirklich nur gemacht hat, um sich zu rächen, kann ich immer noch nicht glauben. Zumal er alles andere als zufrieden wirkt, jetzt, da er seinen Willen durchgesetzt hat. Da du aber leider nicht sprechen kannst, muss ich die Wahrheit wohl selbst rausbekommen. Weißt du was? Wir holen ihn von der Arbeit ab. Komm, Jason, ela!"
Kaum hatten sie jedoch die Veranda verlassen, kam ihnen Doneus auf seinem altersschwachen Fahrrad entgegen. „Wirst du mir etwa untreu, Jason?" begrüßte er seinen Hund, stieg vom Fahrrad ab und lehnte es an die Hauswand.
„Bisher ist er noch nie allein
Weitere Kostenlose Bücher