Kalymnos – Insel deines Schicksals
„Willst du nicht den Hund mitnehmen?" fragte er arglos.
Julie wunderte sich über den Vorschlag. Doneus wusste doch genau, dass Jason nie und nimmer mitkommen würde - jedenfalls nicht ohne sein Herrchen!
„Ohne Sie wird er kaum wollen", erwiderte sie, stand auf und verließ die Veranda.
„Ruf ihn doch einfach. Mal sehen, wie er reagiert."
Unschlüssig blieb Julie stehen und drehte sich zu Doneus um. „Er gehorcht mir doch ohnehin nicht."
„Ruf ihn doch einfach", wiederholte er seine Aufforderung.
Widerstrebend erfüllte Julie seine Bitte. „Hierher, Jasonela!" rief sie, mit dem Erfolg, dass sich der Hund zwar erhob, aber nur, um den Blick von Julie zu Doneus und wieder zurück wandern zu lassen. Dann bewegte er sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, blieb wieder stehen und sah fragend sein Herrchen an.
„Sehen Sie? Ich hab's doch gleich gesagt." Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, worauf Doneus hinauswollte.
Wenige Augenblicke später wusste sie es, denn Doneus war aufgesprungen und zu ihr geeilt. „Dann werde ich wohl mitkommen müssen", sagte er triumphierend.
Darauf hatte er es also abgesehen! Julie fühlte sich überrumpelt. Gleichzeitig empfand sie ungeheures Mitleid mit ihm. Denn jetzt, da er zum ersten Mal seit ihrer Ankunft Gelegenheit gehabt hatte, sich mit ihr ein wenig zu unterhalten und ihre Gesellschaft zu genießen, schien er sich tatsächlich vor dem Gedanken zu fürchten, allein zurückzubleiben. Hatte er sie nicht noch vor wenigen Minuten geradezu angefleht, sie möge nicht gar so abweisend zu ihm sein?
Und dieser Mann war doch einsam!
„Also gut, Sie haben gewonnen." Sie musste unwillkürlich lächeln, was Doneus nicht entging.
Er sah sie so strahlend an, dass es Julie ein Leichtes war, seine Gefühle zu erraten. Er schien glücklich zu sein und unendlich dankbar, dass sie sich hatte erweichen lassen. Und dieses Gefühl der Dankbarkeit war sicherlich der Auslöser dafür, dass er ihr unvermittelt die Hand entgegenstreckte. Wie kräftig sie war! Es leuchtete Julie absolut ein, dass ein Schwammtaucher kräftige Hände brauchte, um die Schwämme vom unterseeischen Gestein zu lösen. Aber so kräftig?
„Sollen wir losgehen?" brach sie das eingetretene Schweigen.
Doneus schien ihre Verlegenheit bemerkt zu haben. Er ließ die Hand sinken, beugte sich zu seinem Hund herunter und flüsterte ihm etwas auf Griechisch ins Ohr. Julie beobachtete ihn ganz genau und fragte sich, wie viele Stunden er in all seiner Einsamkeit schon mit seinem Hund geredet haben mochte. Erneut traten ihr Tränen in die Augen.
Wenn er jetzt die Hand noch einmal ausstrecken würde ...
„Wo soll es denn hingehen?" fragte sie, als sie die Gartenpforte erreichten.
„Das überlasse ich dir, Liebling."
Sie verließen den ungepflegten Garten mit den überwuchernden Hecken aus Bougainvilleen und Oleander und schlugen den Weg zur Nordspitze der Insel ein. Julie liebte die wild-romantische Landschaft entlang der felsigen Küste, die kaum Bewuchs hatte. Nur gelegentlich fanden sich Stellen, wo die ockerfarbene Erde Pflanzen Halt und Nahrung bot.
„Wird es dir auch nicht zu viel?" fragte Doneus besorgt, nachdem sie schon mindestens eine Stunde unterwegs waren.
„Im Gegenteil", antwortete Julie ohne Zögern, „ich bin so froh, hier zu sein."
Und das war die reine Wahrheit. Zum ersten Mal, seit sie nach Kalymnos gekommen war, fühlte sich Julie wirklich im Einklang mit sich und der Welt. Jedes Mal, wenn sie bislang hierher gekommen war, hatte sie die Ruhe und den Frieden der Landschaft genossen, und heute schien ihr das Erlebnis intensiver als je zuvor. Sie war sich völlig im Klaren darüber, dass sie das ihrem Begleiter zu verdanken hatte.
Wortlos setzten sie ihren Weg fort, bis Doneus unvermittelt auf den Klippen stehen blieb und den Blick von den kahlen Gipfeln, die südlich von ihnen in der Sonne glänzten, bis zur Küste schweifen ließ, die vor ihnen senkrecht zum Meer abfiel.
Fasziniert betrachtete Julie seine Gesichtszüge. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn je so entspannt und ausgeglichen erlebt zu haben.
„Es ist so friedlich hier", sagte er schließlich, ohne sich umzuwenden. „All die Farben, Laute und Düfte - als ob man sie alle einzeln in sich aufnehmen würde, ohne sie bewusst unterscheiden zu können."
Seine einfühlsamen Worte ließen ihr Herz schneller schlagen, und wieder verspürte sie diese eigentümliche Melancholie. Sie lehnte sich an einen Felsen und blickte
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