Kammerflimmern
ob er lügt oder nicht. Wir wissen, dass er es tut, also stellen wir uns zielführender die Frage nach dem ›Warum.«
Sein Telefon meldete in diesem Moment den Eingang einer SMS, der Hauptkommissar schenkte der kurzen Melodie jedoch keine Beachtung.
»Du hast eine SMS bekommen«, bemerkte Hain völlig überflüssig. »Willst du nicht wissen, wer dir geschrieben hat?«
»Später vielleicht.«
Wagner sah Lenz und dann Hain an.
»Wahrscheinlich wieder eine von diesen mysteriösen, ominösen Nachrichten, über deren Inhalt und vor allem Absenderin wir seit Jahren im Unklaren gelassen werden.«
»Genau«, bestätigte Lenz.
»Es gäbe eine, oder noch besser, zwei Möglichkeiten, wie wir sofort und ohne Aufsehen an die von uns so sehnsüchtig gewünschten Informationen kommen. Am einfachsten wäre, wenn Paul jetzt und hier eine leichte Herzattacke erleiden würde. Dann könnten wir unbehelligt nachsehen.«
»Famose Idee, Thilo«, bestätigte Lenz kopfschüttelnd. »Und Möglichkeit zwei?«
»Wir erschießen dich und lassen es wie Selbstmord aussehen.«
Nun musste der Hauptkommissar herzhaft lachen.
»Noch besser. Dann hätte ich die Sorge weniger, nach der Verbindung zwischen den Hainmüllers und unseren Toten aus dem Reinhardswald suchen zu müssen.«
Er deutete mit dem Zeigefinger auf Hain.
»Weil es nicht so weit kommen wird, müssen du und ich die ganzen Akten im Fall Hainmüller noch einmal durchgehen. Aber vorher schauen wir uns bei Frommerts Familie um, wie wir es heute Mittag schon vorhatten.«
Sie verabschiedeten sich von Wagner, und kurz darauf steckten sie im dicksten Feierabendverkehr. Der einsetzende Schneefall machte das Vorwärtskommen noch mühsamer. Sie hatten die Stadt hinter sich gelassen und befuhren die Ausfallstraße in Richtung Bergshausen. Lenz nutzte die Zeit, um jene Nachricht anzuschauen, die er in Wagners Büro ignoriert hatte.
Ich bin heute Abend ab
20:00 im Frasenweg 12
bei Stoddart und freue mich,
wenn du kommen kannst.
M.
Irritiert las er die Nachricht ein zweites und ein drittes Mal. Sie war unzweifelhaft von Maria, doch er kannte weder die angegebene Adresse, noch hatte er jemals von einem Menschen namens Stoddart gehört. Verwirrt steckte er das Telefon in die Jacke.
»Gute Nachrichten?«, fragte Hain ketzerisch.
»Sehr gute, vielen Dank.«
Das Haus der Frommerts an der Crumbacher Straße sah aus, als wäre es erst kürzlich bezogen worden. Hain stellte den Wagen ab und sah auf das großzügige, moderne Gebäude, das ganz und gar nicht mit der sonstigen Bebauung harmonierte.
»Big is beautyful. Da hat’s der gute Waldemar doch mal richtig krachen lassen.«
Sie stiegen aus und gingen über einen gekiesten Weg zur Haustür. Hain legte den Finger auf einen klobigen, bronzefarbenen Ring, der als Auslöser für die Klingel diente. 15 Sekunden später ging im Innern eine Lampe an, und eine Person näherte sich der Tür.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte ein etwa 55-jähriger Mann die Polizeibeamten, nachdem er geöffnet hatte. Er trug einen teuer aussehenden Anzug und ebensolche Schuhe. Sein graumeliertes Haar fiel ihm auf die Schultern, was seinem Auftritt etwas von einem Bohemien gab.
»Kripo Kassel, Hauptkommissar Lenz. Guten Tag. Das ist mein Kollege Hain. Mit wem haben wir das Vergnügen?«, fragte Lenz unverbindlich.
Der Mann an der Tür zog eine Augenbraue hoch.
»Ich bin ein Freund des Hauses. Wie Sie vielleicht wissen, hatte Herr Frommert einen schweren Unfall. Ich bin hier, um Frau Frommert in dieser unglücklichen Zeit beizustehen.«
»Ist Frau Frommert zu Hause?«
»Selbstverständlich ist sie zu Hause, sie möchte jedoch keinen Besuch empfangen. Außerdem hat der Arzt ihr ein Beruhigungsmittel verabreicht.«
»Wir hätten ein paar kurze Fragen zu Freitagabend, es dauert sicher nur einen kurzen Moment. Wie ich schon gesagt habe, Herr …?«
Der Mann an der Tür zögerte einen Moment.
»Roll. Dr. Herbert Roll.«
Lenz und Hain tauschten einen kurzen, erstaunten Blick.
»Dr. Roll, der Geschäftsführer der IHK Kassel?«
»Ganz richtig. Ich wüsste jedoch nicht, woher wir uns kennen.«
»Das tun wir auch nicht, Herr Dr. Roll, aber es ist schön, dass wir uns hier treffen. An Sie hätten wir nämlich auch ein paar Fragen.«
Der Geschäftsführer machte die Andeutung eines Kopfschüttelns und wirkte dabei ein wenig ungehalten.
»Ich kann mir nicht vorstellen, was ich mit der Polizei zu besprechen hätte, meine Herren. Wenn Sie wirklich
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