Kammerflimmern
Kleenex, das Mobiltelefon.
Ola hatte versucht, sie zu erreichen.
Sechsmal.
Sara hatte ihn total vergessen.
Er sei ebenfalls beurlaubt, hatte der Krankenhausdirektor ihr nachgerufen, als sie aus seinem Büro gestürzt war.
Sie setzte sich wieder an den Rechner und schob das Datenzäpfchen in ein USB-Portal. Wenn alle guten Mächte ihr beistünden, würde es im Innenfach der Handtasche überlebt haben. Der Rechner reagierte sofort und zeigte oben in der rechten Ecke das Icon ATTACH PRO.
Sie klickte es an.
»Thank God«, murmelte sie, als ihre und Olas Darstellungen als intakte Dateien auftauchten.
Sie druckte jeden Bericht zweimal aus und ging weiter zur Website des Senders NRK. Sie hatte das Gesuchte rasch gefunden und gab eine Nummer ein, ehe sie das Telefon ans Ohr hielt.
Ein schlechterer Umgang mit den Medien, als sie soeben erlebt hatte, war kaum vorstellbar. Und das würde sie sich nicht gefallen lassen.
»Hier spricht Sara Zuckerman«, sagte sie, als sie endlich die gesuchte Person am Apparat hatte. »Dr. Sara Zuckerman vom Universitätskrankenhaus Grini. Ich verfüge über ziemlich umfassende Unterlagen über die Ermittlungen, die im Krankenhaus derzeit angestellt werden. Können wir uns treffen und darüber reden?«
15.58 Uhr
Gjettumkollen, Bærum
Das Haus war quälend still.
Die Kinder waren in der Schule, Guro war bei der Arbeit. Ola Farmen saß mit einer Tasse Tee mit Honig am Küchentisch und tat sich selber leid. Auf dem Vogelbrett vor dem Fenster kämpften zwei Kohlmeisen um die letzten Sonnenblumenkerne, die Tara jeden Morgen ausstreute: Sie wollte nicht nur »Karrilogin« werden, sondern auch Tierärztin. Außerdem Friseuse, Clown und Vogeldame, was immer das nun wieder sein mochte. Ola war kurz vor elf ins Büro des Krankenhausdirektors gerufen worden, vollständig unvorbereitet auf das, was dann kam. Er hatte sich alle Mühe gegeben, sich so einfach wie möglich auszudrücken, hatte aber natürlich Begriffe verwenden müssen, die möglicherweise auf Unverständnis stoßen würden.
Er war beurlaubt worden.
»Bis auf Weiteres«, sagte Svein-Arne Gran und lächelte, als läge darin eine Aufmunterung.
Ola hatte den Rest des Monologs fast nicht gehört.
Beurlaubt.
Verbrecher wurden beurlaubt. Ärzte, die ihre Arbeit vernachlässigten, die Medikamente stahlen, die betrunken zur Arbeit erschienen oder Patientinnen dort berührten, wo Patientinnen nicht berührt werden durften. Solche Leute wurden beurlaubt.
Und nun er.
Gran hatte ein Blatt Papier auf den Tisch gelegt und ihm einen Kugelschreiber gereicht, und Ola hatte unterschrieben. Er hatte nicht anders gekonnt, er hatte sich so darauf konzentriert, zu sehr musste er sich konzentrieren, um nicht in Tränen auszubrechen. Er übersah Grans ausgestreckte Hand und verließ das Büro, ging durch die Gänge, eine Treppe hinunter, durch die Schwingtüren zu seiner eigenen Abteilung und in sein Büro.
Von dort aus versuchte er, Sara anzurufen.
Sie meldete sich nicht.
Er konnte sich nicht erinnern, sein Haus jemals so still erlebt zu haben. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, die Zwillinge vorzeitig aus dem Hort zu holen, um ein wenig Krach um sich zu haben, gab diese Idee aber wieder auf.
Ihm fehlte einfach die Kraft.
Stattdessen richtete er die Fernbedienung auf den kleinen Bildschirm, der beim Kühlschrank unter der Decke hing. Es ging auf vier Uhr zu, und der NRK brachte jede volle Stunde Nachrichten. Vielleicht war die Sache jetzt hochgegangen.
Jemand hatte den Fernseher auf volle Lautstärke gedreht.
Die Erkennungsmelodie brüllte ihm entgegen, während er verzweifelt versuchte, den richtigen Knopf zu treffen.
»Todesvirus im Herzstarter kann zwei Menschenleben gekostet haben«, schallte es durch die Küche, ehe Ola die Lautstärke endlich drosseln konnte. »GRUS unter polizeilicher Ermittlung.«
Zu Bildern des großartigen neuen Krankenhauses kam ein Strom von Informationen, und er konnte nicht begreifen, woher sie die hatten. Der Reporter wusste, dass es sich um den Deimos handelte, dass die aktuellen ICDs mit einem Virus behaftet waren, dass vermutlich ein Programm mit Zeitschaltung vorlag, das die Opfer genau achtundvierzig Stunden nach der Operation sterben ließ. Die Opfer wurden nicht namentlich genannt, sondern als international bekannter und vielfach ausgezeichneter Elektrophysiologe und erfolgreicher Werbefachmann mit großen Aufträgen aus der Wirtschaft umschrieben.
Unter anderem von
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