Kammerflimmern
Fernbedienung und schaltete aus. Ihre Hand zitterte ein wenig, und sie fühlte sich seltsam wach. Ängstlich irgendwie, ein klares Gefühl von etwas Drohendem und Unübersichtlichem. Zugleich fühlte sie sich entschlossener als seit langer Zeit. Ihre Kopfschmerzen waren verschwunden.
Es war an der Zeit, Peters Arbeitszimmer zu betreten.
18.00 Uhr
Markveien, Grünerløkka, Oslo
»Mama«, bettelte Morten Mundal, »bitte, bleib ganz ruhig!«
Rebecca Mundal hatte offenbar in den vergangenen Stunden mehrmals versucht, ihren Sohn zu erreichen, aber erst jetzt hatte er nach Hause gehen können, um sich zu erkundigen, ob sie sich wirklich die Nachrichten angesehen hatte.
Das hatte sie offenbar.
Sie weinte.
Er konnte die Tränen nicht sehen, dazu war das Bild zu dunkel. Wenn er sie besuchte, zog er immer die schweren Portieren zur Seite, um die Wohnung heller zu machen, aber wenn sie dann wieder skypeten, war das Bild schattig und unklar.
Ihre Schultern bebten, und ihre Hände zitterten schlimmer denn je.
»Jetzt haben wir ihn, Mama«, versuchte er zu trösten.
Er beugte sich weiter zur Kameralinse vor und versuchte, echte Freude in sein Lächeln zu bringen. Er musste jedes Wort auf die Goldwaage legen, schärfte er sich noch einmal ein. Jegliche elektronische Kommunikation wurde schließlich überwacht. Aber mit seiner alten Mutter zu reden war schließlich ganz normal.
»Otto überlebt das nicht«, erklärte er voller Überzeugung. »Dass die Aktien sinken wie Bleigewichte in stillem Wasser, das ist das eine. Aktien fallen und steigen eben. Aber siehst du nicht, Mama, nach dieser Sache wird Mercury Medicals Ruf für lange, lange Zeit geschwächt sein. Siehst du nicht, dass der Mann fertig ist, Mama?«
»Was hast du getan«, jammerte sie und griff sich in die dünnen Haarsträhnen, ehe sie ein Glas packte und leerte.
Wasser, hoffte er, wusste es aber leider besser.
»ICH?«, fragte er und lächelte in die Kamera. »Ich habe gar nichts getan.«
So würde es nämlich aussehen.
So musste es aber auch aussehen.
Als Agnes Klemetsen ihn am Morgen im Büro besucht hatte, hatte er die Rolle des Unwissenden in äußerster Perfektion spielen können. Er hatte bemerkt, dass sie ihn aushorchen und verunsichern wollte. Aber das war ihr nicht gelungen.
Als Morten Mundal dann in Erfahrung gebracht hatte, dass Sverre Bakken im Krankenhaus lag und wegen einer akuten Psychose behandelt wurde, hatte er trotzdem für einen Moment geglaubt, sein ganzer Plan könnte zusammenbrechen.
Dann aber war ihm klar geworden, dass diese Psychose ein Geschenk des Himmels war.
Sverre Bakken war nachweislich verrückt.
Und ehe er verrückt geworden war, hatte der verbitterte, frisch geschiedene Mann mit Geldnot und dehnbarer Moral zu kämpfen. Ein Jahr zuvor hatte die Gehaltsabteilung dem Mann irrtümlicherweise drei Monate lang das doppelte Gehalt überwiesen. Als der Fehler entdeckt wurde und sie das Geld zurückverlangten, behauptete Sverre, diese Zuwendungen gar nicht bemerkt zu haben. Da das Geld verbraucht und seine Behauptung nur schwer zu glauben war, hatten Entlassung und Anzeige gedroht. Aber Morten hatte Gnade vor Recht ergehen lassen. Der Mann war tüchtig, reuig und befand sich in einer schwierigen privaten Situation.
»Otto wird dich zerstören«, flüsterte seine Mutter. »Du wirst deine Arbeit verlieren, du wirst ...«
»Ich verliere meine Arbeit nicht. In ein oder zwei Wochen, wenn der Druck groß genug geworden ist, werde ich die Konsequenzen aus den schwerwiegenden Sicherheitsmängeln ziehen, die zwar nicht meine Schuld sind, aber natürlich meine Verantwortung. Dann kündige ich, Mama.«
Zu behaupten, Morten Mundal habe einen Grund dafür geliefert, dass er einen solchen phantastischen Posten aufgeben und auf alle Abfindungen verzichten wollte, wäre purer Blödsinn gewesen.
Außerdem war Morten ungeheuer vorsichtig gewesen. Das Telefon, mit dem er am vergangenen Donnerstag mit Sverre kommuniziert hatte, war eines seiner alten Nokias gewesen. Er hatte eine Prepaidkarte eingelegt, die auf Sjur Fredriksen, Kløfta, registriert war, dessen vierzigster Geburtstag in Aftenposten erwähnt worden war. Die Karte war als Einstiegspaket bei Rema 1000 gekauft worden, und als Morten beim ersten Gespräch zu einem Kundenzentrum durchgeschaltet wurde, um sich registrieren zu lassen, hatte er die Personalien des Geburtstagskindes angegeben. Niemand hatte nach seiner Personenkennnummer gefragt. Jetzt war die Karte
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