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Kammerflimmern

Kammerflimmern

Titel: Kammerflimmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Even Anne; Holt Holt
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noch schlimmer.
    Eine Schieferplatte hatte sich gelockert. Das Geländer um die riesige Terrasse hätte einen neuen Anstrich brauchen können, und beim letzten Regen war ein Rosenbeet die Böschung zum Meer hinabgeruscht. Auf den vorigen Gärtner war Verlass gewesen, aber nach seinem tragischen Tod bei einem Autounfall hatten sie keine brauchbare Hilfe mehr finden können.
    Die Leute waren entweder träge und nachlässig oder so jung und unerfahren, dass sie kaum den Unterschied zwischen einer Rose und einer Orchidee kannten. Das Faktotum, das seine Arbeit nur verrichtet hatte, wenn sie gut genug aufpassten, hatte plötzlich behauptet, seine Mutter sei gestorben, und war verschwunden.
    Aber Jan van Liere machte sich nicht nur Sorgen um Haus und Garten, als er auf das funkelnde Meer im Südosten hinausschaute.
    Mit den Nachrichten über Mercury Deimos wurde er sehr viel schwieriger fertig.
    Im Januar hatte er einen anonymen Brief erhalten, indem er aufgefordert wurde, sich den Inhalt eines beigelegten Datensticks genauer anzusehen. Es ging um den Mercury Deimos. Jan van Liere hatte den Stick ängstlich in seinen Computer gesteckt, aber er begriff nichts davon, was dann auf dem Bildschirm auftauchte.
    Der Brief hatte ihn sehr beunruhigt, wie alles Ungewohnte ihn beunruhigte. Normalerweise hätte er einen Computeringenieur hinzugezogen.
    Normalerweise.
    Die Zurechtweisung, die er sich im letzten Herbst in der Zentrale hatte abholen müssen, steckte ihm noch in den Knochen. Die Chefs von R & D Software, von R & D Pharmacy und von der Security hatten wie ein boshafter dreiköpfiger Troll auf der einen Seite eines langen Tisches gesessen und waren alle Verdachtsmeldungen durchgegangen, mit denen er sie im vergangenen Jahr »bombardiert« hatte, wie sie das nannten.
    Es war ein überaus unangenehmes Erlebnis gewesen.
    Zutiefst ungerecht.
    Jan van Liere war ein vorsichtiger Mann, und Vorsicht war in seiner Branche eine Tugend. Als er das Büro im 35. Stock der Zentrale von Medical Mercury verlassen hatte, nachdem sie ihn wie einen Schulbuben zusammengestaucht hatten, war es ihm schwer genug gefallen, seine Stimmung zu verbergen. Er war auf das Schändlichste gedemütigt worden. Erst im Flugzeug nach Südafrika hatte er seiner Wut freien Lauf lassen können.
    Er verschwende ihre Zeit, hatten sie behauptet. Da das Protokoll vorschrieb, dass auf jede Verdachtsmeldung eine Untersuchung in der Zentrale zu folgen hatte, egal, von wem und woher die Anfrage stammte, beschäftige Jan van Liere mit seinen vielen Sorgen allein fünf, sechs Mann.
    Das müsse ein Ende haben, hatte der Troll mit drei Köpfen befohlen. Natürlich solle er sich melden, wenn Grund dazu bestand, aber es müsse ein guter Grund sein, betonten sie, ehe sie ihm die Tür wiesen.
    Deshalb hatte Jan van Liere das im Januar erhaltene Programm geschlossen, hatte den USB-Stick aus dem Computer gezogen und samt Begleitschreiben in den Safe gelegt.
    Ein Virus, besagte jetzt die besorgniserregende Nachricht, intern in der Firma und in den Massenmedien. Zwei Menschen gestorben, die Aktien in freiem Fall.
    Obwohl er nichts von den Zeichen verstanden hatte, die im Januar auf seinem Bildschirm aufgetaucht waren, wusste er, dass es um den Deimos ging.
    »Hier stehst du also?«, hörte er hinter sich Elsas helle Stimme. »Aber Lieber, du blutest ja!«
    Jan van Liere hob den Zeigefinger. Ein scharfer kleiner Riss in der Haut blutete nach seinem Zusammenstoß mit der Tür, und er steckte den Finger in den Mund.
    »Ich hole Pflaster«, sagte Elsa und lief ins Haus.
    Seit Oktober hatte er keine einzige Verdachtsmeldung geschickt.
    Das hätte er vielleicht tun sollen.
    Er beschloss, obwohl es Sonntag war, einen der leitenden Ingenieure anzurufen. Er wollte wissen, was das Datenzäpfchen enthielt. Wenn es etwas mit dem Virus zu tun hatte, wollte er sich jedenfalls nicht nachsagen lassen müssen, dass er sich von Leuten, die eher an finanzielle Folgen dachten als an Leben und Gesundheit, den Mund verbieten ließ.
    Zufrieden, weil er einen Entschluss gefasst hatte, lief er über die Terrasse. Er bog in dem Moment um die Hausecke, als Elsa mit dem Erste-Hilfe-Kasten zurückkam. Aber sie musste warten.
    Er wollte zum Safe im Keller. Er wollte einen Ingenieur anrufen.
    Er wollte ihnen verdammt noch mal zeigen, dass Vorsicht am längsten währt.
    Ein wenig spät, vielleicht, aber besser spät als nie.
6.50 p.m.
Sassoon Road, Pokfulam, Hongkong
     
    Als Hal Bristol, technischer

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