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Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)

Titel: Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Graeber
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tragen. Polizeisoziologen haben schon vor langem aufgezeigt, dass nur
ein winziger Bruchteil der eigentlichen Polizeiarbeit überhaupt mit Verbrechen zu tun hat. Vielmehr sind Polizisten die unmittelbaren Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols, diejenigen Personen, die sich einschalten, um Situationen aktiv zu vereinfachen (wenn jemand beispielsweise irgendeine bürokratische Definition offensiv hinterfragt). Gleichzeitig ist die Polizei in heutigen industriellen Demokratien, vor allem in Amerika, zum nahezu zwanghaften Gegenstand der allgemeinen imaginativen Identifikation geworden. Die Öffentlichkeit wird im Grunde ständig, in Tausenden von Fernsehsendungen und Filmen, dazu eingeladen, die Welt aus der Sicht eines Polizeibeamten zu sehen. Dabei handelt es sich allerdings stets um die Perspektive imaginärer Polizeibeamter, von Polizisten also, die tatsächlich damit beschäftigt sind, Verbrechen zu bekämpfen statt sich mit kaputten Rücklichtern zu befassen oder dafür zu sorgen, dass in der Öffentlichkeit kein Alkohol konsumiert wird.

IIa: Exkurs über transzendentale versus immanente Imagination
    Es ist natürlich nicht dasselbe, ob man sich nun in seiner Vorstellung mit einem imaginären Polizisten oder mit einem echten Polizisten identifiziert. (In Wirklichkeit meiden die meisten Amerikaner echte Polizisten wie die Pest.) Dies ist ein wesentlicher Unterschied, auch wenn es in einer zunehmend digitalisierten Welt schwerfällt, die beiden auseinanderzuhalten.
    In diesem Zusammenhang erweist es sich als sinnvoll, sich einmal mit der Geschichte des Wortes »Vorstellungskraft« beziehungsweise »Fantasie« zu beschäftigen. Was wir als »die Fantasie« bezeichnen, wurde in der Antike und im Mittelalter üblicherweise als Übergangsbereich zwischen der Realität und
dem Verstand angesehen. Wahrnehmungen aus der materiellen Welt mussten zunächst die Imagination passieren, wobei sie emotional aufgeladen wurden und sich mit allen möglichen Arten von Phantasmen mischten. Erst dann konnte der Verstand ihre Bedeutung erfassen. Bei Absichten und Wünschen verlief dieser Prozess in umgekehrter Richtung. Erst nach Descartes nahm das Wort »imaginär« schließlich die Bedeutung »alles, was nicht real ist« an: imaginäre Lebewesen, erfundene Orte (Mittelerde, Narnia, Planeten in weit entfernten Galaxien, das Reich des Priesterkönigs Johannes …), Fantasiefreunde. Nach dieser Definition wäre allerdings eine »politische Ontologie der Imagination« ein Widerspruch in sich. Die Fantasie kann nicht als Fundament der Realität dienen, denn per definitionem handelt es sich dabei um das, was denkbar ist, aber keine Realität besitzt.
    Letzteres will ich im Folgenden als »das transzendentale Konzept der Imagination« bezeichnen, da es sich als Modell anzulehnen scheint an Romane oder andere fiktionale Werke, in denen imaginäre Welten erschaffen werden, die mutmaßlich immer gleich bleiben, egal wie oft man sie liest. Erfundene Lebewesen  – Elfen, Einhörner oder Polizisten aus dem Fernsehen  – werden von der wirklichen Welt in keiner Weise berührt. Dies ist auch gar nicht möglich, da sie ja nicht existieren. Im Gegensatz hierzu ist die Art von Imagination, auf die ich mich in diesem Zusammenhang beziehe, sehr viel näher an der älteren Konzeption einer immanenten Imagination angesiedelt. Entscheidend hierbei ist, dass diese in keiner Weise statisch und frei schwebend, sondern umfassend in Handlungsentwürfe eingebunden ist, die darauf abzielen, tatsächliche Auswirkungen auf die materielle Welt zu haben. Als solche ist sie einer dauernden Veränderung und Anpassung unterworfen. Dies gilt sowohl für die Fertigung eines Messers
oder Schmuckstücks als auch für das Bemühen, die Gefühle eines Freunds nicht zu verletzen.
    Um zu verstehen, wie wichtig diese Unterscheidung tatsächlich ist, könnte man noch einmal auf den 68er-Slogan zurückkommen, der fordert »Fantasie an die Macht«. Geht man davon aus, dass sich dieser Spruch auf die transzendentale Imagination – also beispielsweise auf vorgeformte utopische Projekte – bezieht, kann dies, wie wir wissen, katastrophale Folgen mit sich bringen. In der Geschichte wurden derartige Projekte sehr oft gewaltsam aufgezwungen. Andererseits könnte man entsprechend argumentieren, dass es in einer revolutionären Situation gleichermaßen katastrophale Auswirkungen haben könnte, jener anderen, immanenten Form der Imagination gerade keine vollständige

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