Kampf dem Kamikaze-Kapitalismus: Es gibt Alternativen zum herrschenden System (German Edition)
lediglich ein Beispiel dafür herausgegriffen, wie die komplexe Welt von heute funktioniert: etwa ein Callcenter, die Arbeit eines Webdesigners, die Architektur eines Forschungslabors).
Dann wird verkündet, hieran sei klar zu erkennen, dass sich – siehe da! – die Welt irgendwann um 1968 oder vielleicht 1975 herum völlig verändert habe. Keine der alten Regeln gelte noch. Alles sei jetzt anders.
Dieser Trick funktioniert allerdings nur, wenn man unter keinen Umständen eine Neubewertung der Vergangenheit im Lichte der Gegenwart vornimmt. Da käme sonst schnell die Frage auf, ob es überhaupt jemals sinnvoll war, Waren als Gegenstände zu definieren, deren Wert allein durch Fabrikarbeit entsteht. Was ist denn mit all den Dandys, Bohemians und Flaneuren des 19. Jahrhunderts, von den Zeitungsjungen, Straßenmusikern und Quacksalbern ganz zu schweigen? War das alles nur Effekthascherei und schöner Schein? Apropos schöner Schein, was war doch gleich mit der Schaufensterdekoration (einer Kunst, die übrigens durch Lyman Frank Baum, den Schöpfer des Kinderbuchklassikers Der Zauberer von Oz , Bekanntheit erlangte)? War die Schaffung von Wert in diesem Sinne nicht immer schon ein kollektives Unterfangen?
Man könnte jedoch auch die späte Anerkennung der Bedeutung von Frauenarbeit als Ausgangspunkt nehmen, um marxistische Kategorien im Allgemeinen zu überdenken.
Dann würde man feststellen, dass die so genannte »häusliche« beziehungsweise »reproduktive« Arbeit (eine eher unglückliche Wortwahl), das heißt sämtliche Tätigkeiten, die das Hervorbringen von Menschen und sozialen Beziehungen umfassen, in jeder Gesellschaft stets als wichtigste Form menschlichen Schaffens gegolten hat. Im Gegensatz hierzu ist die Herstellung von Weizen, Strümpfen und Petrochemikalien immer nur ein Mittel zum Zweck gewesen. Dies war den meisten menschlichen Gesellschaften überdies sehr wohl bewusst. Ein typisches Merkmal des Kapitalismus ist ja gerade die Tatsache, dass man sich dessen in diesem System nicht bewusst ist. Der Kapitalismus als Ideologie bestärkt uns darin, die Produktion von Waren als Hauptaufgabe des menschlichen Daseins anzusehen; das gemeinsame Formen von Menschen erscheint damit gewissermaßen zweitrangig.
Dies soll natürlich nicht heißen, dass sich in den letzten Jahren gar nichts verändert habe. Ich will damit auch nicht behaupten, dass viele der Zusammenhänge, die innerhalb der Theorie der immateriellen Arbeit hergestellt werden, nicht real oder nicht wichtig seien. Allerdings waren die meisten dieser Wechselbeziehungen bereits vor etlicher Zeit innerhalb der feministischen Literatur benannt und diskutiert worden, was häufig zu sehr viel aufschlussreicheren Ergebnissen geführt hatte. So hatte etwa Donna Haraway bereits in den 1980er Jahren gezeigt, welche Rolle neue Kommunikationstechnologien dabei gespielt hatten, dass sich Formen der »Heimarbeit« innerhalb der ganzen Gesellschaft verbreiteten. Um ein offensichtliches Beispiel herauszugreifen: Fast das ganze 20. Jahrhundert hindurch waren kapitalistische Büros im Sinne einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung organisiert. Darin spiegelten sie die Struktur eines typischen Oberschichtenhaushalts wider: Männliche Führungskräfte waren für die strategische
Planung zuständig, während von den Frauen als Sekretärinnen erwartet wurde, den überwiegenden Teil der alltäglichen organisatorischen Aufgaben zu erledigen. Daneben fielen auch die Steuerung der Außendarstellung (auch als »Impression Management« bezeichnet), die kommunikativen Tätigkeiten sowie die Deutungsarbeit generell in ihren Verantwortungsbereich. Diese Tätigkeiten wurden vor allem über das Telefon abgewickelt. Was heutzutage für Komplikationen sorgt, ist, dass diese traditionell weiblichen Funktionen inzwischen schrittweise digitalisiert und durch Computer ersetzt werden, denn dabei handelt es sich genau um jene interpretativen Fähigkeiten und Tätigkeiten, die Computer am wenigsten in der Lage sind auszuführen. (Beispielsweise dafür zu sorgen, dass niemandes Ego verletzt wird oder Ähnliches). Vor diesem Hintergrund haben die von den Postoperaisten »affektive Arbeit« genannten Tätigkeiten vermehrt an Bedeutung gewonnen, was sich wiederum darauf auswirkt, wie heutzutage die Telefonarbeit organisiert wird: Diese läuft nun globalisiert, aber auch weitgehend lediglich ergänzend zu Prozessen ab, die mittlerweile durch eine Software ausgeführt werden. Die
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