Kampf der Gefuehle
nichts anderes zu verstehen gab, war ihre Einstellung die gleiche, wie wenn sie ihren Körper unter Röcken verbarg.
Oder war das alles reine Selbsttäuschung?
Sie hätte sich denken können, wie Sascha reagieren würde, hätte zusehen müssen, sich schon vorher mit ihm auseinanderzusetzen. Ariadne rieb sich die Schläfe, um die einsetzenden Kopfschmerzen zu lindern. Wie sie es auch drehen und wenden mochte, alles, was sich zwischen Sascha und Gavin Blackford abspielen würde, würde ihre Schuld sein. Wie hatte es nur so weit kommen können?
Als Ariadne davon ausgehen konnte, dass Sascha nicht nur den garconniere- Flügel, sondern auch das Haus verlassen hatte, legte sie seufzend das Florett in den Kasten zurück und klappte den Deckel zu. Auf einmal fühlte sie sich todmüde. Sie wollte nur noch schlafen, schlafen und vergessen.
Doch die ganze Nacht machte sie kaum ein Auge zu. Während sie im Bett lag und in die Dunkelheit starrte, kreisten ihre Gedanken wieder und wieder um bestimmte Fragen. Was würde Sascha tun? Wie würde Gavin Blackford reagieren, wenn Sascha ihm drohte? Ahnte der Fechtmeister, wer sie war? Wie viel Zeit blieb ihr noch, bis er es herausfand? Was würde sie sagen, wenn er sie zur Rede stellte? War es tatsächlich möglich, dass sie sich ein Können aneignete, das ausreichte, ihn zu besiegen, beziehungsweise dass sie es sich rechtzeitig aneignete? Und selbst wenn ihr das gelang, würde sie dann wirklich imstande sein, ihm einen tödlichen Stich zu versetzen?
In Paris war sie so entschlossen gewesen, so überzeugt davon, dass ihre Wut und ihr Kummer ihr die Kraft verleihen würden, ihren Plan durchzuführen. Dass sie jetzt von Zweifeln geplagt wurde, kam ihr wie ein Verrat an Francis vor.
Aber würde er ihr gefährliches Vorhaben denn gutheißen? Oder würde er, der er solch eine zarte Dichterseele gehabt hatte, es missbilligen? Würde er sich dagegen verwehren, dass man ihm einen solchen Tribut zollte, nicht zuletzt weil er Angst um sie hatte? Hatte sie nach seinem und Jean Marcs Tod vorübergehend den Verstand verloren und sich etwas eingeredet?
Am nächsten Morgen zwang Maurelle sie, sich mit einer Sache auseinanderzusetzen, vor der sie größte Angst hatte.
»Was hast du beschlossen, ma chere ? Trägst du nun Schwarz oder nicht?«
Die Frage riss die immer noch von Kopfschmerzen gequälte Ariadne, die zusammen mit Maurelle am Frühstückstisch saß, aus ihren Gedanken. Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, worauf ihre Gastgeberin anspielte. Und bis sie in der Lage war, sich mit dem Problem zu befassen, verging noch mehr Zeit.
»Ach, ich weiß auch nicht«, erwiderte sie mit einem Seufzer und stützte den Kopf in die Hand. »Meinst du wirklich, ich sollte für einen Stiefvater und eine Stiefschwester, die ich nie kennengelernt habe, Trauerkleidung anlegen? Es fehlt mir gewiss nicht an Mitgefühl, aber ich glaube, das Ganze würde nur weitere Verwicklungen heraufbeschwören.« Natürlich konnte sie Maurelle nicht verraten, dass ihr vor allem daran gelegen war, zu vermeiden, die Neugier des Fechtmeisters zu wecken.
Maurelle musterte die Brioche, die sie in der Hand hielt, mit kritischem Blick. »Ich verstehe zwar, was du meinst, aber darum geht es gar nicht. Du erinnerst dich doch an das alte Sprichwort: Si un chat mourrait dans la famille, tout le monde porterait de deuil .«
Wenn in der Familie eine Katze stirbt, sollten alle Trauer tragen. Ariadne nickte, während ihre Lippen sich zu einem feinen Lächeln verzogen.
»Es ist eine Geste des Respekts, verstehst du. Bei solchen Dingen darf sich niemand ausschließen, das gehört sich einfach nicht. Außerdem weiß keiner von uns, ob er nicht als Nächster die Fahrt im schwarzen Wagen antreten muss. Diese Reise möchte niemand allein machen.«
»Das ist mir schon klar, und im Prinzip habe ich ja auch nichts dagegen«, sagte Ariadne in ernstem Ton. »Aber dann ist da ja auch noch der Beileidsbesuch und alles, was damit zusammenhängt.«
»Stimmt, aber ich glaube nicht, dass man von dir erwarten würde, die ganze Nacht lang an der Totenwache teilzunehmen. Es sei denn, du möchtest es. Was das Begräbnis angeht, so habe ich gehört, dass man die Leichen flussaufwärts schaffen und in der Nähe des Landsitzes der Familie bestatten will.«
Darauf hatte Ariadne gehofft. Dass es ihr jetzt bestätigt wurde, erfüllte sie mit großer Erleichterung. Blieb noch eine wichtige Frage, die zu stellen ihr peinlich war, da sie egoistisch
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