Kampf der Gefuehle
wirkte.
»Glaubst du, dass meine Mutter hinterher nach New Orleans zurückkehrt?«
»Das weiß niemand, obwohl ich es für unwahrscheinlich halte.« Maurelle langte nach ihrer Kaffeetasse und nahm sie zwischen die Hände. »Selbst wenn sie weiterhin nach einem Mann für deine Schwester suchen möchte, wird sie wohl kaum wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Das Mädchen selbst könnte nur zu den gesittetsten und seriösesten gesellschaftlichen Veranstaltungen gehen. Da kann sie ebenso gut zu Hause bleiben.«
Hatte sich ihr Problem so leicht gelöst? Ariadne wagte es kaum zu hoffen. »Was ist mit den Beileidsbezeigungen?«, fragte sie einen Augenblick später.
»Das Beste wird sein, wenn du deine Mutter sofort aufsuchst. Wenigstens kannst du es dir dann selbst aussuchen, wann du gehst und wie lange du bleibst, und niemand kann dir vorwerfen, du hättest deine Pflichten als Tochter vernachlässigt. Ob du sie auch auf ihrer traurigen Heimreise begleitest, musst du selbst entscheiden.«
»Ja, vermutlich«, erwiderte Ariadne, die nicht im Traum daran dachte, New Orleans zu verlassen.
»Bei dem Besuch wirst du natürlich Schwarz tragen müssen. Danach würde ich graue Kleidung empfehlen.«
Grau schien ihr ein akzeptabler Kompromiss zu sein. Da die Farbe in dieser Saison Mode war, stand zu hoffen, dass ein gewisser Fechtmeister sie unkommentiert lassen würde. »Glaubst du, dass diese verwandtschaftliche Beziehung vielen bekannt ist?«, fragte sie Maurelle.
»Im Moment vielleicht noch nicht, aber diese Tragödie dürfte die Erinnerungen derjenigen wecken, die über deine Adoption Bescheid wussten. Die Sache wird mit Sicherheit in der Gerüchteküche für Gesprächsstoff sorgen.«
Ariadne konnte nur hoffen, dass das nicht so bald geschah. Was die übrigen Dinge betraf, so verließ sie sich ganz auf Maurelle, die zwar ein ziemlich unabhängiger Geist sein mochte, aber sich in den Feinheiten des in New Orleans geltenden gesellschaftlichen Verhaltenskodex auskannte wie sonst niemand. Wenn sie einen Beileidsbesuch in schwarzer Kleidung für erforderlich hielt, dann ließ sich das nicht umgehen.
»Ich hoffe, du begleitest mich bei dem Besuch.«
»Wenn du das möchtest«, sagte ihre Gastgeberin, obwohl in ihren Augen eine unausgesprochene Frage stand.
Ariadne war sich nicht sicher, ob ihre Bitte dem Bedürfnis nach Unterstützung entsprang oder lediglich darauf zurückzuführen war, dass sie in ihrem Elend Gesellschaft haben wollte. Nichtsdestotrotz lächelte sie und dankte ihrer Freundin.
Am Nachmittag brachen sie auf, Maurelle in gedämpftem, mit lavendelfarbenen Paspeln abgesetztem Grau, Ariadne in einer Haube und einem Kleid, die von den flinken Fingern Madame Pluches zurechtgemacht worden waren, welche für derlei Notfälle stets Ensembles in Schwarz auf Lager hatte. Sie gingen zu Fuß, da der Regen vorübergehend aufgehört hatte und das Hotel St. Louis, in dem Ariadnes Mutter logierte, nur einige Häuserblocks entfernt war. Zuvor hatten sie ihrer Mutter einen Brief zukommen lassen, um anzufragen, ob ihr der
Besuch genehm sei. Die Antwort war kurz, aber positiv ausgefallen. Sie konnten also zumindest damit rechnen, empfangen zu werden.
Sie betraten das Hotel durch den Nebeneingang, der für Damen ohne männliche Begleitung reserviert war, und nickten dem Portier, der ihnen die Tür aufhielt, dankend zu. Ariadne war recht froh darüber, den abgelegeneren Eingang benutzen zu können, da ihr das gestattete, den Haupteingang zu vermeiden, der in der Passage de la Bourse lag, wo ein gewisser Gentleman sein Studio hatte.
In der Suite, in die sie kamen, herrschte Chaos. Jenseits der offenen Tür der beiden vom Wohnzimmer abgehenden Schlafzimmer waren Schrankkoffer zu sehen, deren Deckel weit aufstanden. Zwei Dienstmädchen, die Kleidung über den Armen und ein Sammelsurium von Dingen wie Stiefelknöpfer und Nähkästchen in den Händen hatten, eilten geschäftig hin und her. Die üppige Ausstattung des Hotelzimmers, das schwere, mit Volants und Fransen besetzte Vorhänge, einen Brüsseler Teppich sowie mit Baumwollbrokat überzogene Polstermöbel aufwies, ließ darauf schließen, dass die Lebensumstände von Ariadnes Mutter sich durch ihre Wiederverheiratung zum Besseren gewandt hatten. Dieser Eindruck wurde noch durch den Schmuck aus Gagat verstärkt, den sie und die Tochter im heiratsfähigen Alter, um derentwillen sie in die Stadt gekommen war, zu ihren Kleidern aus tiefschwarzem, glanzlosem Stoff
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