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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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demselben Erdball wie Du, aber ich bin heilfroh, dass ich nicht in GF bin, das ist eine Scheißstadt und wird es immer bleiben.
    Eines Tages werde ich Dir mal erzählen, wie ich hier hergekommen bin. Ich hab’s geschafft, ohne umgebracht oder zu sehr ausgenutzt zu werden, und verhungert bin ich auch nicht. Muss jetzt mal die Biege machen.
    Alles Liebe,
    Berner Parsons
    PS. Ich hab mir ein paar neue Dinge ausgedacht. Du kannst mir an diese Adresse schreiben, mach das bloß. Ich freu mich, auch wenn’s etwas dauert, also keine Eile.
    Wenn Du mich sehen könntest, würdest Du mich nicht wiedererkennen. Ich habe zwei Ohrlöcher. Ich rasiere mir die Beine und die Achseln und hab mir meinen drahtigen Mopp kurzschneiden lassen, scharf. Meine alten Sommersprossen sind mir egal. Ich habe jetzt Brüste. Der Mann, wir nennen ihn Onkel Bob, hat mich gefragt, ob ich Jüdin wäre. Ich sagte, klar. Meine Haut blüht leider etwas. Ich hab schon zweimal als Babysitter gejobbt, kannst Du Dir das vorstellen, ich! Ich weiß noch, wie ich selber ein Baby war. Und Du bist immer noch eins, wenn Du mich fragst. Wenn ich Dich sehe, gebe ich Dir das gestohlene Geld.
    Zu blöd, dass wir die Eltern haben, die wir haben, und da nicht mehr Glück hatten. Unser Leben ist jetzt ruiniert, obwohl wir ja noch eine Menge davon übrig haben und irgendwie füllen können. Manchmal vermisse ich sie. Einen Traum hatte – habe – ich. Darin habe ich jemanden getötet, ich weiß nicht, wen, und das dann komplett vergessen. Und plötzlich kommt es alles wieder hoch – das Töten –, ich weiß, dass ich es war, und andere Leute auch. Das ist schrecklich, denn ich habe es ja gar nicht wirklich getan, aber den Traum hab ich trotzdem. Später wache ich dann auf, mit einem Gefühl, als hätte ich geweint und ein Wettrennen hinter mir. Kennst Du das? Weil wir Zwillinge sind, glaube ich, dass wir dieselben Gefühle haben und dieselben Anschauungen (von der Welt?). Ich hoffe, das stimmt. Ich kann mich an eins von Mutters Gedichten erinnern. Manchmal sage ich es dem Jungen von der Marine auf. »Besaß ich nicht einst eine liebwerte, heroische, legendenumwobene Jugend, auf goldene Blätter zu schreiben, – zu viel des Glücks! Durch welches Verbrechen –« Der Rest fällt mir jetzt nicht mehr ein. Tut mir leid. Es war auf Französisch. Sie hat wohl immer geglaubt, es handelt eigentlich von ihr.
    Noch mal alles Liebe,
    Berner Rachel Parsons, Deine Zwillingsschwester

53
    Die Zeit, die jetzt für mich in Fort Royal im Leonard Hotel begann, war in jeder Hinsicht anders als meine einsamen Wochen in Partreau und kam mir – auch wenn sie nicht lange dauerte und im Desaster endete – wie tatsächlich gelebtes Leben vor, nicht wie ein Stillstand, das Halbleben eines Menschen, der sich auf der leeren Prärie verirrt hat, der es irgendwie bis zu einem Obdach schafft und doch ein Verirrter bleibt – und nichts ist für ihn je wieder in Ordnung.
    Immer mehr Sportsfreunde trafen jetzt ein. Manchmal fünf oder sechs auf einmal – ihre großen amerikanischen Autos mit den bunten amerikanischen Nummernschildern parkten auf dem unbefestigten Platz hinterm Haus, den Kofferraum voller Jagdausrüstung, die nicht in die kleinen Zimmer passte. In meinem radiatorgeheizten Verschlag nicht weit von Remlingers Räumen hörte ich die Männerstimmen durch die Dielenböden und über die Rohre nach oben dringen, ihre gedämpften Gespräche bis tief in die Nacht. Ich lag stumm auf meinem schmalen Bett und versuchte zu verstehen, was sie sagten. Vielleicht, dachte ich, würden sie als Amerikaner irgendetwas sagen, das mir vertraut war, etwas, das mir zu neuen Einsichten verhalf. Keine Ahnung, was ich mir davon versprach. Viel konnte ich nicht verstehen – irgendwelche Namen, Herman, Winifred, Sonny; Klagen über Beleidigungen oder Verletzungen, die der eine oder andere erlitten hatte. Vereinzelt Lachen.
    Abends, nachdem Charley und ich zum Sonnenuntergang auf Erkundung gegangen waren und bestimmt hatten, wo neue Gruben angelegt werden sollten (zwei ukrainische Jungen waren angeheuert worden, um sie nach Einbruch der Dunkelheit auszuheben und die Erdhaufen mit Weizenstroh zu bedecken), kehrte ich meistens zurück, um in der Hotelküche zu essen, und verbrachte danach einige Zeit in der verrauchten, lärmigen Bar neben der Jukebox oder stand hinter den Kartenspielern in der Spielhöhle oder unterhielt mich mit den philippinischen Mädchen, die in dem schummrigen Barlicht die Drinks

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