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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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seinen schrägen Aussprüchen beirren lassen. Ich schloss aus dem wenigen, was er sagte, dass wir am nächsten Morgen die beiden Amerikaner zur Gänsejagd mitnehmen würden, als wären sie zwei x-beliebige Sportsfreunde, und dass es dann nicht bei der Gänsejagd bleiben würde. Es würde zu anderen Dingen kommen, weil die Amerikaner eben keine x-beliebigen Sportsfreunde waren, sondern Männer mit anderen Absichten.
    Auch an diesem Tag sah ich Arthur Remlinger kein einziges Mal, was angesichts der Umstände bemerkenswert war. Die beiden Amerikaner aßen allein im Speisesaal zu Mittag, wo die anderen Sportsfreunde sich versammelt hatten und ihre morgendliche Jagd durchsprachen. Ich hatte zwei Besorgungen zu erledigen, eine Flasche Merthiolat aus dem Drugstore und Briefmarken für Postkarten nach Amerika. Die beiden Amerikaner waren in ein intensives Gespräch vertieft und beachteten weder mich noch sonst jemanden. Es hatte etwas Lächerliches, dass sie den Tag mit Reden verbrachten, offen sichtbar, wo doch so vieles von ihnen bekannt war – ihre Absichten; dass ein Mann getötet worden war; dass Remlinger sie im Blick hatte und wahrscheinlich gerade in seinen Räumen überlegte, was er mit ihnen machen sollte; dass sie Waffen hatten und vermutlich damit rechneten, sie zu benutzen. Das Vorspiel zu schrecklichen Ereignissen kann lächerlich sein, ganz wie Charley gesagt hatte, aber auch beiläufig und unauffällig. Es lohnt sich, das zu erkennen, denn es zeigt den Ursprung vieler schrecklicher Ereignisse an: einen Zentimeter vom Alltag entfernt.
    Ich tat nur eines, um von den beiden Amerikanern wahrgenommen zu werden – denn ich fand die Vorstellung, mit ihnen zu reden, immer noch aufregend –, ich erkundigte mich bei den Sportsfreunden am Nebentisch (die ich schon vom Morgen her kannte), ob ihnen die Jagd Spaß gemacht habe. Sonst hätte ich nie danach gefragt, aber ich hoffte, die beiden Amerikaner würden meinen amerikanischen Akzent hören (ich nahm an, ich hätte einen) und etwas zu mir sagen. Es drehte sich aber keiner von ihnen um oder unterbrach ihr Gespräch. Einen, den nervösen, schwarzhaarigen Crosley, der die Dinge ernster zu nehmen schien als der runde Kahlkopf Jepps, hörte ich sagen: »Gar nichts ist idiotensicher. Das ist bloß eine dämliche Geschichte.« Wahrscheinlich redeten sie darüber, was sie tun sollten. Aber ich wusste nicht, was diese Worte wirklich heißen sollten, und wollte auch nicht auffällig lauschen. Also ließ ich sie allein und machte mein Nickerchen.

62
    »Ich habe dir dieses gute Buch mitgebracht.« Florence stand in dem dunklen Flur vor meinem Zimmer. Ich hatte Mittagsschlaf gemacht und war auf ihr Klopfen hin in Unterhosen an die Tür gegangen. Offenbar kam sie gerade aus Remlingers Räumen. »In dem hier gibt es ein paar schöne Landkarten«, sagte sie. »Wir haben ja darüber geredet. Also …« Sie sah auf das schwere Buch hinunter, dann legte sie es mir in die Hände und lächelte.
    Eine einzelne Birne erleuchtete den Flur hinter ihr. Bisher war nur Charley Quarters je an meine Tür gekommen – um mich früh zu wecken. Ihm hätte ich nicht unzureichend angezogen aufgemacht. »Du musst dir was anziehen.« Sie wandte sich zum Gehen, als wäre es mir peinlich gewesen.
    Sie hatte angekündigt, sie wolle mir ein Buch über die Geschichte Kanadas bringen, und hier war es nun. Hinten drauf prangte ein Bibliotheksetikett. »Öffentliche Bibliothek Medicine Hat«, stand oben auf den Schnitt gestempelt. Es hieß Die kanadische Nation aufbauen , von einem Mr George Brown. Wir hatten schon besprochen, dass ich nach Winnipeg gehen sollte, um bei ihrem Sohn zu wohnen, und vielleicht Kanadier werden würde. Ich hatte darüber nachgedacht. Sie fand, das wäre besser für mich. Dabei war ich noch nicht lange in Kanada – sechs Wochen, mehr nicht – und wusste fast nichts von dem Land. Ich würde die grundlegenden Dinge lernen müssen – die Nationalhymne und den Fahneneid (falls es hier einen gab), die Namen der Provinzen und wer der Präsident war. Aber Kanadier zu sein war nicht sehr viel anders, als wenn Berner und ich sagten, wir »lebten« in einer der Städte, wo wir kurze Zeit waren und zur Schule gingen und dann wieder wegzogen. Ich hatte vier Jahre lang in Great Falls gelebt und nie das Gefühl gehabt, dort hinzugehören. Die Länge der Zeit, die man an einem Ort verbrachte, schien nicht viel zu besagen.
    »Gib’s mir einfach zurück, wenn du es durch hast«, sagte Florence.

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