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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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sich in Great Falls wirklich zu Hause, aber bestimmt wäre er auch glücklich, wenn er wieder in Alabama lebte. Es habe schon Vorteile, in der Nähe seiner Verwandten zu sein. Worauf sie antwortete, es sei nie falsch, in der Nähe seines Herkunftsortes zu bleiben. Viele Leute verbrächten ihr ganzes Leben damit, dagegen anzukämpfen. Er habe großes Glück, sagte sie, dass ihm das schon in jungen Jahren aufgegangen sei.
    Natürlich war all das gelogen – was sie verkündeten, wie sie sich verhielten, was sie uns weismachen wollten, wie sie uns die Zukunft ausmalten. Unsere Eltern liefen vor der Katastrophe her. Vorübergehend waren sie an einen vertrauten, ruhigen Ort zurückgekehrt, wo alles so war, wie sie es hinterlassen hatten – auch Berner und ich –, alles sah unverändert aus und hätte unter anderen Umständen auch tatsächlich unverändert sein können. Dass sie jetzt mit desaströsen Konsequenzen würden umgehen müssen, mit etwas, das auf sie zurollte und sie ergreifen und unter ihr Leben einen Strich ziehen würde, war ihnen schlicht noch nicht völlig klar geworden. Sie konnten immer noch denken, handeln und reden wie gewohnt. Das ist absolut verzeihlich und sogar sympathisch – dass sie sich von einer letzten Prise des Lebens bezaubern ließen, das sie weggeworfen hatten.

20
    Am Samstagmorgen wachte ich davon auf, dass ich meine Mutter telefonieren hörte. Sie beharrte auf irgendetwas und scheuchte mich weg, als ich durch den Flur zur Toilette ging, an der Wandnische vorbei, wo das Telefon stand. Mein Vater war offenbar nicht da. Das Auto stand nicht mehr in der Seitenstraße. Über Nacht war das Wetter umgeschlagen. Es war jetzt kühl im Haus, luftig, und die Vorder- und Hintertüren standen offen. Bleiche Wolken, die durch das Küchenfenster zu sehen waren, zogen hastig vom Westen heran, und das Licht hatte sich gelbgrün verfärbt. Die Vorhänge bauschten sich, und die Ulmen in unserem Garten und im Park auf der anderen Straßenseite bogen sich hin und her, als gebe es bald Regen. Unser Stapel aussortierter Kleider lag immer noch auf der hinteren Veranda und wartete auf den Wagen von St. Vincent de Paul. Im Haus war es frisch und beinahe ruhig, trotz des Durchzugs. Die Stimmung des Morgens schien etwas Bedeutsames für den Nachmittag anzukündigen.
    Als meine Mutter fertig telefoniert hatte, teilte sie mir mit, sie gehe jetzt zu dem Italiener auf der Central, wo sie immer einkaufte. Berner schlafe noch. Wenn ich wolle, könne ich mitkommen. Das machte mich glücklich. Für mein Gefühl verbrachte ich nicht genug Zeit mit meiner Mutter, sie war öfter mit Berner zusammen.
    Auf dem Weg sagte meine Mutter allerdings wenig. Beim Italiener kaufte sie eine Tribune – das kannte ich nicht von ihr, normalerweise zeigte sie keinerlei Interesse an dem, was in der Stadt vorging. So versuchte ich, über ein paar Dinge zu sprechen, an denen mir lag. Mein Schwinn-Rad war alt, wir hatten es in Mississippi gebraucht gekauft, jetzt war es zu klein für mich. Ich dachte eher an ein Raleigh, ein englisches Fahrrad mit dünnen Reifen, Handbremsen, Gangschaltung und einem Korb hinter dem Sattel. Ich wollte meine Bücher und Schachfiguren mit in die Schule nehmen, wenn sie losging. Bislang hatte ich nicht mit dem Rad zur Schule fahren dürfen, aber ich nahm an, das würde sich bald ändern. Ich erinnerte sie daran, dass ich vorhatte, einen Bienenstock im hinteren Garten zu bauen, für ein Volk, und zwar bis zum nächsten Frühjahr, denn dann würden die Bienen, die ich in Georgia bestellen wollte, hier eintreffen. Das bringe Vorteile für uns alle. Die Befruchtung der Malven. Honig – den wir alle essen könnten – sei gut gegen Allergien, also gut für Berner. Und ich würde etwas lernen, denn Bienen seien sehr organisiert und zielstrebig, ich könnte für die Schule Aufsätze über das schreiben, was ich lernte, so wie bereits über die Eisenverhüttung und die Polioschluckimpfung, die Berner und ich beide bekommen hatten. Ich erinnerte sie daran, dass der Jahrmarkt immer noch lief und dass ich gern den Bienenstand sehen würde, heute sei der letzte Tag. Sie sagte darauf nur, das müsse mein Vater entscheiden – sie habe zu tun. Und sie sagte noch einmal, dass sie den Jahrmarkt nicht möge. Dort sei es gefährlich. Jahrmarktleute würden immer wieder Kinder kidnappen, das sei bekannt – aber das nahm ich ihr nicht ab. Sie war mit unseren Kleidern beschäftigt. Berner brauche neue Unterwäsche. Ich wüchse

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