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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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legte mich aufs Bett. Berner kam herein, schloss die Tür und verkündete, unsere Eltern seien verrückt geworden. Sie sagte, unsere Mutter sei nach Beendigung ihres Telefonats in die Küche gegangen, und sie, Berner, habe im Elternschlafzimmer nachgeschaut, als könnte sie dort entdecken, mit wem unsere Mutter gesprochen hatte. Dort habe der Koffer meiner Mutter offen auf dem Doppelbett gelegen, ein Teil der Kleider bereits darin. Berner sei zu ihr gegangen und habe gefragt, warum der Koffer da liege, und unsere Mutter habe gesagt, wir würden bald verreisen. Ohne zu verraten, wohin. Berner fragte, ob unser Vater auch mitkomme, und unsere Mutter habe geantwortet, wenn er das wolle, könne er das natürlich ohne weiteres, aber wahrscheinlich würde er nicht mitkommen. Berner sagte, bei diesem Gespräch sei ihr kotzübel geworden – sie habe aber nicht gekotzt –, und inzwischen wolle sie nur noch weglaufen und auf der Stelle Rudy Patterson heiraten. Mir kam es so vor, als sollte ich gar nicht erst eingeladen werden, auf diese Reise mitzukommen.
    Um vier Uhr ging unsere Mutter ins Schlafzimmer, um ein Nickerchen zu machen. Gleich darauf kam mein Vater an mein Zimmer, schaute kurz herein und ging dann zu Berners Tür. Er fragte, ob wir nicht mit ihm rüber zum Jahrmarkt fahren wollten, er habe gelesen, der Eintritt koste am letzten Nachmittag nur noch die Hälfte und abends gebe es ein Feuerwerk. Es spreche doch nichts dagegen, da mal die Nase reinzustecken. Sein Lächeln kam mir ein bisschen mutwillig vor und wirkte so, als wolle er unserer Mutter ein Schnippchen schlagen.
    Berner war nicht interessiert. Auf ihrem Bett liegend, sagte sie, in der Schule habe sie gehört, am letzten Tag gingen da nur stinkende Indianer hin, pleite und immer betrunken. Sie habe genug Indianer gesehen, ganze Wagenladungen von ihnen, eine geschlagene Woche lang, »aber das war euch ja so egal, ihr seid trotzdem weggefahren«.
    Unser Vater trug seine geputzten Cowboystiefel und ein Paar gebügelte Jeans – allerdings hatte er sich nicht rasiert und auch nicht gekämmt. Er lächelte, aber er sah wieder seltsam aus, als säßen seine Gesichtszüge nicht richtig auf den Knochen. Er stand in Berners Tür und sagte, es tue ihm leid, dass die Indianer vorbeigekommen seien, aber nun würden sie Ruhe geben. Als Junge sei er mal von seinem Onkel Cleo auf eine Fahrt nach Birmingham eingeladen worden. Aber damals habe er, unser Vater, eine Freundin namens Patsy gehabt. Deshalb sei er nicht mitgekommen, er habe sich vielleicht mit Patsy treffen wollen. Und einen Monat später sei Onkel Cleo auf einem Bahnübergang zu Tode gekommen, wo die Schranke nicht funktioniert habe, er habe Onkel Cleo nie wiedergesehen und immer bedauert, dass er nicht mitgefahren sei.
    »Ich kann nicht erkennen, dass du daran schuld warst«, sagte Berner vom Bett aus, wo sie ihre Fingernägel feilte. »Vielleicht hätte Onkel Cleo ein bisschen besser aufpassen sollen.« Es machte ihr Spaß, ihm zu widersprechen und sich dabei überlegen zu fühlen.
    »Gar keine Frage«, sagte unser Vater. »Ich dachte eben, ich könnte jederzeit mit Onkel Cleo nach Birmingham fahren. Und dann war das plötzlich vorbei.«
    Berner sagte etwas, das ich wegen des Ventilators nicht verstand. Ich glaubte zu hören: »Wirst du etwa umgebracht, wenn ich nicht mitkomme?«
    »Ich hoffe nicht«, sagte mein Vater darauf. »Ich hoffe von ganzem Herzen, dass das nicht passiert.« Berner hatte ein großes Mundwerk – wie gesagt. Mein Vater nannte das ihre »Blasiertheit«.
    »Das ist Erpressung«, sagte sie. »Ich mag mich nicht erpressen lassen.«
    »Vielleicht drücke ich mich nicht richtig aus«, sagte unser Vater.
    Dann sagte Berner wieder etwas, das ich nicht verstehen konnte. Aber ich merkte am Ton ihrer Stimme, dass sie nachgegeben hatte. Ich hörte die Dielen in ihrem Zimmer knarren. Wenn er sie ins Visier nahm, konnte sie ihm nicht widerstehen. Das konnte nur unsere Mutter. Wir haben sie beide geliebt, auch wenn das letztlich nicht ins Gewicht fiel. Das sollte beim Erzählen dieser Geschichte nicht untergehen. Wir haben sie immer geliebt.

23
    Wir fuhren die Third Street hoch, am Fluss entlang, vorbei an der Stelle, wo Berner und ich die Enten gefüttert hatten. Der Himmel war wieder in Aufruhr und windig, Gerüche wurden herumgeweht. Flache Wolken mit lila Bauch glitten von Süden heran. Schaumkronen tanzten auf dem Fluss, und Möwen segelten durch die schwüle Brise. Es würde ein Gewitter

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