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Kanada

Kanada

Titel: Kanada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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so dass die Vorhänge sich blähten und die Zeitung auf dem Esszimmertisch unruhig raschelte. Unsere Mutter schloss die Fenster, zog die klammen Vorhänge zu, schaltete die Tischlampen ein und räumte den Schuhputzkasten meines Vaters weg.
    Sie hatte nicht viel zu sagen und wirkte geschäftsmäßig. Sie machte in der Küche das Abendessen, erwähnte weder Miss Remlinger noch die Anrufe, die sie gemacht hatte, fragte auch nicht, wo wir drei gewesen seien. Allerdings sagte ich ihr, dass wir mit dem Versprechen, auf den Jahrmarkt zu gehen, losgefahren seien, es sei dann aber zu voll gewesen. Wie ich Geld gefunden, dass Berner geweint und sich nach Russland gewünscht hatte oder dass uns zwei Polizisten gefolgt waren, all das wollte ich auf später verschieben.
    Berner verschwand wie immer gleich in ihrem Zimmer, als wir heimkamen, und schloss ohne ein Wort die Tür hinter sich. Sie hatte in ihrem Radio leise Musik eingestellt, und ich hörte sie herumgehen, die Metallbügel in ihrem Kleiderschrank quietschten, und sie redete mit ihren Fischen, vielleicht fühlte sie sich dann weniger einsam. Ich nahm an, sie packte für ihre Flucht. Ich würde sie davon nicht abbringen können, und unseren Eltern konnte ich auch nichts davon sagen. So hatten wir es immer gehandhabt. Zwillinge brachten einander nicht in Schwierigkeiten. Aber falls sie wirklich ausrisse, würde sie wiederkommen, dachte ich. Und keiner würde es ihr vorhalten.
    Ich saß in meinem Zimmer, das Fenster war einen Spalt geöffnet, und spürte im Dunkelwerden, wie der Wind fauchte, wie der Regen auf die Schindeln prasselte und bis ins Haus spritzte. Es gab weder Donner noch Blitze, nur peitschenden Sommerregen. Ab und zu ließ er nach, dann hörte ich durch die Wand meinen Vater schnarchen, hörte meine Mutter in der Küche und hörte die Krähen hoch oben auf den nassen Ästen der Bäume herumhüpfen und kreischen und sich woanders niederlassen, bevor der Regen wieder einsetzte. Ich stellte mir vor, wie der Jahrmarkt zu Ende ging, wie der Regen das Sägemehl aufweichte und die Zelte und Stände, wie die Arbeiter die Karussells abbauten und auf Trucks verluden, wie der Bienenstand und die Waffenschau weggeschafft wurden. Ich holte mein Buch der Welt , Band B, vom Regal und suchte den Artikel über Bienen. Der Bienenstock war eine ideale, geordnete Welt, wo alle die Königin verehrten und Opfer für sie brachten. Wenn das mal nicht so lief, versank alles im Chaos. Bienen, so hatte ich früher schon gelesen, waren ein Schlüssel für alles Menschliche, weil sie perfekt auf ihre Umgebung und auf andere Bienen reagierten. Darüber wollte ich gleich zu Anfang des Schuljahres einen Aufsatz schreiben, damit ich einen guten Einstieg hatte. Ich legte einen Stift in das Buch und klappte es zu. Wenn erst einmal die Schule losgegangen war, mein Vater wieder arbeitete und meine Mutter unterrichtete, konnte ich mich mit größerer Ruhe ans Werk machen.
    Kurz darauf war die Stimme meines Vaters zu hören, verschlafen, leise. Seine bestrumpften Füße ließen den Boden erbeben. Aus der Küche drang das Geklapper von Tellern, Töpfen und Pfannen. Meine Mutter sprach, ebenso leise. »… Ein Fisch in tiefen Wassern«, sagte unser Vater. »… In einer idealen Welt …«, sagte sie. Ich fragte mich, ob sie wohl von dem Geld zwischen den Polstern sprachen oder von der verschwundenen Pistole meines Vaters oder ihrer Reise neulich oder dem Koffer meiner Mutter auf dem Bett. Solche Fragen wirbelten mir durch den Kopf, während ich in der weichen Nachtluft lag, der Regen schon den unteren Rand meiner Bettdecke klamm werden ließ und unter meiner Tür ein Streifen Licht vom Flur hereindrang. Die Fragen rückten mir auf den Leib, und dann plötzlich waren sie ganz fern, so dass ich mich links und rechts an meiner Matratze festhalten musste. Das Gefühl erinnerte mich an meinen Zustand, als ich vor Jahren Scharlach gehabt hatte und nie ganz wach gewesen war. Da war meine Mutter hereingekommen, hatte sich auf meine Bettkante gesetzt und mir ihre kühlen Finger an die Schläfe gehalten. Mein Vater hatte in der Tür gestanden, ein großer Schatten. »Wie geht es ihm?«, hatte er gesagt. »Vielleicht sollten wir ihn zum Arzt bringen.« »Er schafft es schon«, hatte meine Mutter geantwortet. Ich hatte die Bettdecke bis ans Kinn gezogen und mich an sie geklammert.
    Jetzt lauschte ich einer Eule draußen in der Nacht. Ich wollte all meine Gedanken nochmals durchdenken. Aber der Schlaf

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