Kanaken-Gandhi
Antrag gestellt. Meine Arbeitserlaubnis ist in Ordnung, mein Pass ist in Ordnung. Und dazu habe ich eine gültige Aufenthaltserlaubnis. Damit bin ich praktisch so gut wie unabschiebbar!«
»Ja, das stimmt! Aber nur noch sechs Tage lang«, ergänzt meine Frau.
»Also, ich weiß auch nicht, was ich von dieser
Ausweisungsgeschichte halten soll. Wie sehr ich doch diese ganzen Asylbewerber, diese Opfer von Krieg, Folter, Hunger und Vertreibung hasse. Die Brüder haben irgendwann mal dieses Asylding erfunden, und ich muss den ganzen Mist jetzt ausbaden!«
»Herr Engin, machen Sie sich keine Sorgen. Ich denke, bald wissen wir genauer, wem Sie diesen ganzen Ärger wirklich zu verdanken haben. Wir fahren jetzt mit dem Wagen zur Zentrale der Behördenpost. Wie ich Ihnen vorhin erklärt habe, werden alle Briefe von den »Laufenden Ausgaben« erst mal von den jeweiligen Dienststellen abgeholt und zur Zentrale gebracht. Da werden die Briefe sortiert, und dann transportiert man sie zur gewünschten Zielbehörde. Ich war vorhin etwas verärgert und habe übertrieben, dass die Briefe bei der Behördenpost nie ankommen oder so! Das stimmt natürlich nicht. Die kommen schon an, aber es dauert eben sehr, sehr lange. Und es passiert auch ständig, dass die Unterlagen bei den falschen Behörden landen. Wie lange es dann dauert, bis Sie Ihre Akte wiederhaben, das können Sie sich doch selber vorstellen.«
Dienstag, 19. Juni, 11:15 Uhr
Als die beiden Frauen meine Überreste aus dem Auto herauszerren, fühle ich mich wie eine Sardine, die endlich aus ihrer Dose befreit wird. Ich war auf der Rückbank des kleinen japanischen Flitzers so sehr zusammengepfercht, dass ich es nicht mal mehr schaffe, aus eigener Kraft auch nur ein Bein auszustrecken. Jedes einzelne Gelenk gibt Geräusche von sich wie eine eingerostete Ritterrüstung. Im nachhinein muss ich eingestehen, dass der Vergleich mit der Sardine nicht ganz zutrifft. Dosensardinen haben es nämlich wesentlich besser als ich, die legt man wenigstens in Öl ein.
Ich glaube, in den ganzen 30 Jahren harter Arbeit als Schlosser in Deutschland wurden meine armen Knochen noch nie so sehr strapaziert wie in den letzten beiden Tagen. Langsam richte ich mich auf und versuche zu laufen. Es hört sich an, als würde man ein 100 Jahre altes Klavier stimmen.
»Osman, beeil dich doch, es ist kurz nach elf. Die machen bestimmt gleich Feierabend.«
»Frau, das muss hier an der Luft liegen. In der Nähe von der Behördenpost bewegt sich alles im Zeitlupentempo«, quietscht es aus meinem Gebissknochen hervor. Die Wahrheit, warum ich mich wie eine Schnecke kriechend fortbewege, kann ich mir sowieso sparen. Meine Ehefrau hätte dafür ohnehin kein Verständnis.
»Osman, du bist sogar zu dämlich, um über die Straße zu laufen. Es gibt nur eins, für das man dich heute gebrauchen könnte, und zwar als warnendes Beispiel für unterlassene Geburtenkontrolle!«
»Frau Engin, sagen Sie mal, schon von der ersten Minute an, seitdem ich Sie beide kennen gelernt habe, diskutieren Sie ununterbrochen mit Ihrem Ehemann. Sie haben beide so unterschiedliche Meinungen, gibt es bei Ihnen überhaupt Gemeinsamkeiten?« höre ich Frau Tanja ganz leise fragen, während die beiden vor mir herlaufen.
»Nun ja, wir haben beide gemeinsam fünf Kinder
großgezogen, wir sind beide von seiner Abschiebung bedroht, und leider haben wir beide am gleichen Tag geheiratet! Das waren sie schon, die Gemeinsamkeiten.«
Bei Allah, wie kann dieses Weib denn vergessen, dass wir jahrzehntelang jeden Samstag gemeinsam die Sportschau geguckt haben? Wie kann sie denn vergessen, dass wir jahrelang gemeinsam in der Küche zu tun hatten? Sie hat gekocht, ich habe Tee getrunken. Wie kann sie denn vergessen ..., hmm ..., wie kann sie denn vergessen ...? Ich glaube, soviel hat sie nun doch nicht vergessen. Ich befürchte, im Grunde geno mmen waren das schon sämtliche Gemeinsamkeiten, die wir uns in 33
Ehejahren mühsam erarbeitet haben.
Endlich stehen wir vor dem uralten Gebäude der
Behördenpost. Wir gehen über einen langen, dunklen Flur bis zur zentralen Annahmestelle und stehen plötzlich vor einer Tür mit einem Plakat, auf dem es heißt:
»Wenn Arschlöcher fliegen könnten, dann wäre das hier ein Flughafen!«
Mit diesem Satz meinen die doch hoffentlich nicht mich? Die können doch gar nicht wissen, dass wir hierher kommen? Oder wurden die etwa von Frau Kottzmeyer-Göbelsberg vor uns gewarnt? Ohne weiter nachzudenken, landen
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