Kanaken-Gandhi
wir, ich meine, gehen wir hinein in diesen verkannten Flughafen. Nachdem Frau Tanja und Eminanim auch drin sind, schließe ich die Tür wieder leise hinter uns.
»Bei uns geht alles langsam, aber dafür werden wir schnell müde.«
Dieser Satz, der auf der Innenseite der Tür klebt, springt mir ins Auge. Gleich daneben lese ich:
»Lieber in der finstersten Kneipe als im hellsten Büro!«
Jetzt leuchtet mir alles ein! Vor lauter Sprüche-Aufhängen kommen die armen Beamten gar nicht dazu, die lästigen Behördenbriefe zügig auszutragen.
»Hallo, schlaft ihr, oder habt ihr schon alle Wochenende?!«
Dies ist keiner von den Sprüchen, die an der Wand hängen, sondern das hat Frau Tanja laut von sich gegeben, weil sich absolut niemand um uns kümmert. Das ganze ist auch eine bemerkenswert neue Erfahrung für mich: Ich betrete zusammen mit Frau Tanja einen Raum, und die Männer da drin zeigen trotzdem keine Reaktion. Die fünf alten Herren beachten uns nicht einmal. Lautlos geistern sie durch die langen Regalreihen.
In diesem riesigen Saal stehen so viele Regale wie im Ersatzteillager meines Autohändlers. Wir drei stehen einsam und verloren vor dem großen Tresen. Uns ergeht es so wie den meisten Briefen hier: bestellt und nicht abgeholt!
Wenn nicht einmal Frau Tanja diesen Männern Leben einhauchen kann, was soll dann meine armselige, kümmerliche, verstaubte Akte hier schon bewirken?
»Hallo, ihr Süßen, kann uns denn keiner von euch Hübschen etwas helfen?« rufe ich mit möglichst erotisch-warmer Stimme in den Raum. Denn wenn Frau Tanjas Anblick bei diesen fünf Männern keinerlei Reaktion auslöst, dann rechne ich mir große Chancen aus.
Und prompt antwortet mir auch einer:
»Habt ihr es draußen am Eingang nicht gelesen? Wir machen in zehn Minuten Mittagspause, und wir sind gerade bei der innerlichen Vorbereitung darauf.«
Hastig versucht Frau Tanja ihren Revolver..., eh..., ihren Taschencomputer auszupacken.
»Um Himmelswillen, Frau Tanja, lassen Sie das Ding bloß in Ihrer Tasche! Das Vorschriftenduell werden Sie hier bestimmt gewinnen. Aber wir müssen uns doch nicht gleich die gesamte Beamtenschaft dieser Stadt zum Feind machen.« Und ich versuche Frau Tanja aufzuheitern, indem ich noch einen Spruch laut von der Wand ablese:
»Hier gibt’s für alle Lösungen ein Problem! »
»Haha, sehr lustig, Herr Engin. Aber für unsere Situation wäre der Spruch vom Beamten-Mikado viel besser. Wissen Sie überhaupt, wie man Beamten-Mikado spielt?«
»Nein, Frau Tanja, bis vor zwei Tagen hatte ich mit denen überhaupt nichts zu tun. Wie sehr ich mich doch danach zurücksehne. Aber wenn ich noch mal auf die Welt kommen sollte, dann werde ich auch Beamter. Das steht fest! Jetzt sagen Sie schon, wie Beamten-Mikado geht.«
»Wer sich zuerst bewegt, hat verloren!«
»Mahlzeit, Genossen, wie kann ich euch helfen, wo liegt das Problem?« ruft einer.
»Hier, Frau Tanja, ein Verlierer, in jeder Hinsicht«, rufe ich.
Glücklich, dass sich endlich ein Beamter um uns kümmert, holt Frau Tanja tief Luft: »Guten Tag, wir suchen nach einer Akte. Nach der Akte von Herrn Engin. Sie muss von der Asylentscheidungsstelle zur Ausländerbehörde geschickt worden sein, aber dort ist sie bis heute nicht angekommen!«
»Und da habt ihr euch gleich gedacht, diese Penner, die Laufenden Aus gaben von der Behördenpost müssen das Ding verbummelt haben!«
»Sie wissen, wie man Sie nennt? Haben Sie uns belauscht?«
rufe ich.
»Mein Gott, Sie wissen ja auch, wie Sie heißen. Ich arbeite seit mehr als zwanzig Jahren hier, da kriegt man alles mit.«
»Was? Schon seit zwanzig Jahren? Was haben Sie denn so Schlimmes angestellt?«
»Mich hat man hierher strafversetzt, weil ich überzeugter Kommunist bin!«
»Sagen Sie mal, dann kennen Sie doch sicherlich meinen Sohn Mehmet?! »
»Sie waren wohl Grundschullehrer, was?« fragt Frau Tanja mitfühlend.
»Nein, ich bin Lokomotivführer!«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
»Nein, das ist mein voller Ernst! Wenn ich Lehrer gewesen wäre, dann könnte man ja noch Verständnis für die da oben haben. Ich hätte ja die Schüler mit meinen Ideen »vergiften«
können. Aber verraten Sie mir mal, wie ich eine Lokomotive mit meinen politischen Idealen beeinflussen soll? Haben Sie schon mal so einen riesigen Berg von Stahl und Eisen gesehen, den man auch Lokomotive nennt, der marxistische Theorien nachplappern kann? Der Richter dachte wohl, das schwarze Ungeheuer würde durch meine
Weitere Kostenlose Bücher