Kanaken-Gandhi
drei männlichen Beamten, von denen es keiner gewagt hatte, auch nur einen Ton von sich zu geben, völlig erschöpft wieder hin.
Draußen vollzieht sich das unglaubliche Phänomen erneut vor unseren Augen: Wie hypnotisiert teilt sich das Rote Meer wieder in zwei gleiche Hälften und lässt Frau Tanja passieren. Aber diesmal haben wir ihr nicht schnell genug folgen können, um das Naturwunder ausnutzen zu können. Direkt hinter ihr schließt sich das Meer von Menschen wieder, und meine Frau und ich, wir ersaufen jämmerlich in den Fluten.
»Frau Tanja, Frau Tanja, warten Sie doch auf uns!«
Zum Glück kommt Moses zurück und rettet das Volk Israel!
Ich meine Engin!
»Herr Engin, ich sagte Ihnen doch, wenn Ihre Akte noch in der Behördenpost steckt, dann kann die unmöglich heute hier sein.«
»Aber selbst aus München brauchen die Briefe höchstens zwei Tage. »
»Ich merke schon, Sie haben überhaupt keine Ahnung, was Behördenpost bedeutet. Ich versuche, es Ihnen mal zu erklären: Überflüssigen Beamten kann man nicht so einfach kündigen.
Und wie in jeder Firma gibt es auch bei der Behörde Leute, die überhaupt nichts auf die Reihe kriegen. Also Alkoholiker, Schlafmützen, völlig Fertige, die einfach nicht arbeiten wollen.
Und weil man ihnen nicht kündigen kann, werden sie alle zur Behördenpost abkommandiert. Diese Genies sind dafür da, die Post von einer Behörde zur anderen zu schleppen. Es gibt Gerüchte, dass zumindest eine Akte schon mal bei der richtigen Behörde angekommen sein soll. Aber wie gesagt, es ist halt ein Gerücht, dafür gibt es keine Beweise. Diese Leute bei der Behördenpost nennt man deswegen auch »Laufende
Ausgaben«!«
»Frau Tanja, für solche Arbeiten braucht man doch keine
»Laufenden Ausgaben«, sondern bestenfalls »Laufende Meter«!
Das ist doch lächerliche Kinderarbeit. Selbst unsere Hatice könnte das problemlos schaffen!«
»Nein, Ihre kleine Tochter könnte das nicht schaffen. Sie ist noch nicht fertig genug! Ach, Herr Engin, entschuldigen Sie bitte, wenn ich so indiskret frage. Aber ich wollte schon immer wissen, warum machen die Türken alle so viele Kinder?«
»Das machen wir doch nicht selbst. Die kriegen wir von Allah geschenkt!«
»Osman, versuch dich nicht herauszureden, sag ihr die Wahrheit«, treibt mich meine hinterhältige Frau zusätzlich in die Ecke.
»Herr Engin, vor mir brauchen Sie sich doch nicht zu schämen. Es gibt Lebewesen, die machen hundertmal mehr Kinder. Verglichen mit einer ägyptischen Zwergmaus sind Sie bestenfalls unterster Durchschnitt.«
»Aber die ägyptischen Zwergmäuse machen doch keine Kinder.
»Die machen doch nur ägyptische Zwergmäuse«, versuche ich abzulenken, »die machen höchstens zwischendurch mal normale Mäuse!«
»Frau Tanja, das hat keinen Sinn mit dem Kerl. Der würde doch nie zugeben, warum wir so einen Haufen Kinder haben.
Tatsache ist, es ist ganz allein seine Schuld, weil er früher einfach zu faul war, anständiges Deutsch zu lernen.«
»Aber seit wann ist denn die deutsche Sprache ein Verhütungsmittel?«
»Weil er so gut wie kein Deutsch konnte, hat er die Pillen, die ihm der Arzt ohne mein Wissen für mich mitgegeben hatte, jeden Monat selber genommen. Dafür habe ich jahrelang seine Prostata-Tabletten schlucken dürfen. Und nach jeder Schwangerschaft hat er unseren armen Hausarzt angebrüllt, weshalb seine doofen Pillen denn nicht richtig wirken! Jetzt sollen wir in sechs Tagen abgeschoben werden, und er hat immer noch Unsinn im Kopf. Osman, wie schlimm muss es denn noch kommen, damit du den Ernst der Lage endlich kapierst?«
»Herr Engin, ich muss sagen, ich gebe Ihrer Frau völlig recht.
Diese Sache dürfen Sie nicht einfach auf die leichte Schulter nehmen. Denn wenn sich die Mühlen des Staates erst einmal in die falsche Richtung drehen, dann brauchen Sie sehr viel Energie, Kraft, Mut und Geduld, um Ihr Leben wieder in Ordnung zu bringen!«
»Aber ich nehme es doch ernst! Seit zwei Tagen sind wir ununterbrochen bei der Ausländerbehörde! Man hat mich deswegen in der Fabrik gefeuert, dann hat man mir ein Ohr abgeschnitten, und außerdem habe ich über 1.000 Mark Taxischulden. Wegen der Magengeschwüre hatte ich heute Nacht auch nur Ärger, und heute morgen sind wir auch keinen Schritt weitergekommen, weil wir immer noch nicht wissen, was hinter dieser Sache steckt! Es kann nicht sein, dass sie mich ausweisen wollen, weil mein Asylantrag abgelehnt wurde, schließlich habe ich keinen
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