Kanaken-Gandhi
sozialistischen Gedanken auf die falsche Bahn geraten und nach Kuba flüchten...«
»Es ist mir egal, ob Ihre kommunistische Lokomotive nach Kuba oder nach Moskau flüchtet, Hauptsache, sie verschleppt unsere Akte nicht dorthin«, setzt meine Frau der rasanten Fahrt des linken Lokomotivführers ein rasches Ende.
»Mit der Versetzung zur Post sind Sie ja noch glimpflich davongekommen. Wenn wir unsere Akte nicht wiederfinden, die hier verschlampt worden ist, dann werden wir nach Anatolien ins Exil geschickt!«
»Liebe Genossen, ich kann euch versichern, bei uns werden im Prinzip nie Akten verschlampt. Hier geht alles seinen sozialistischen Gang. Mein Kollege kann euch das sicherlich auch bestätigen, nicht war Genosse Manfred? Ich hab’ doch Recht, oder?«
»Das ist völlig richtig! Hier in unserer Brigade kommt nichts weg. Es kann natürlich sein, dass mal eine Akte aus Versehen bei der falschen Behörde landet. Aber das ist nie unsere Schuld.
Alle Behörden haben siebenstellige Kennziffern. Wenn auf dem Briefumschlag nur eine Zahl vertauscht wird, dann landet die Akte natürlich ganz woanders. Dann kann es passieren, dass eine Akte von der Autobahnmeisterei, die an das Amt für Straßen- und Brückenbau gerichtet war, letztendlich bei der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Beratungsstelle des Hauptgesundheitsamtes landet. Aber lassen Sie sich nicht unterkriegen, Herr Engin, das kommt auch nicht immer vor. Die Solidarität der Arbeiterklasse in unseren Brüdervölkern wird vor dem Klassenfeind nicht kapitulieren. Die Behördenpost in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf!«
»Sie sind wohl auch ein politisch Verfolgter?« will Frau Tanja Schulz von dem Herrn mit dem prachtvollen Leninbart wissen.
»Ja, genau, wie alle Kollegen hier. Wir sind die Rebellen der Behörde. Wir sind die Unbeugsamen!«
»Dann sind aber Sie bestimmt Lehrer gewesen, nicht wahr?«
»Nein, wieder falsch getippt! Ich bin Leuchtturmwärter an der Nordsee gewesen!«
»Meine Herren, lassen wir mal die Lokomotiven und Leuchttürme beiseite. Mir wäre viel wichtiger, wenn Sie uns sagen könnten, wie wir an unsere Akte wieder rankommen«, drängelt sich meine Frau schon wieder vor.
»Also, Genossin Engin, ich hätte da einen Vorschlag zu machen. Wir werden ab sofort einen sogenannten Suchumlauf starten. Das heißt, wir werden bei allen Behörden nachfragen, ob sie eine Akte bei sich rumliegen haben, die nicht für sie bestimmt ist. Schauen Sie mal in ein paar Tagen wieder rein, dann müsste sich Ihre verlorengegangene Akte hier eingefunden haben.« Wir verabschieden uns von den beiden
Unverbesserlichen und versprechen, in zwei Tagen hier in ihrer behördlichen Parteizentrale wieder vorbeizuschauen.
Während wir rausgehen, entdecke ich noch einen schönen Spruch an der Wand:
»Wenn das Problem weg ist, bleiben immer noch Leute, die daran arbeiten!«
»Ich habe Ihnen das gleich gesagt, Herr Engin«, meint Frau Tanja vor der Tür, »wenn eine Akte erst mal im Behörden-Labyrinth verschwunden ist, dann kann es Ewigkeiten dauern, bis sie wieder auftaucht. Also, diese zwei Tage sollten wir denen noch geben! »
»Aber wenn wir unsere Akte dann immer noch nicht in der Hand haben sollten, dann müssen wir einen Anwalt einschalten.
Die Zeit arbeitet gegen uns. Die schieben heute ganze Großfamilien ab, ohne mit der Wimper zu zucken!« sagt meine Frau.
»Frau Engin, die blöde Ziege von der Ausländerbehörde hat ja gesagt, dass Ihr Asylantrag auch in der zweiten Instanz abgelehnt worden ist. In dem Fall nützt auch kein Rechtsanwalt mehr was! »
Der Schlusssatz von Frau Tanja zeigt seine Wirkung. Ich bemerke, wie Eminanim hastig ihr Kopftuch neu bindet. Das macht sie heute bestimmt zum 200. Mal. Immer wenn sie nervös ist, muss das arme Kopftuch dran glauben. Sie zerrt, sie zupft, sie knotet daran rum, als wäre es Teig für ein Fladenbrot. Was für sie das Kopftuch ist, das ist für mich der Schnurrbart. An solchen Tagen wie gestern und heute, da reiße ich mir mindestens 50 Schnurrbarthaare einzeln aus. Es ist mir selber ein Rätsel, wie es kommt, dass ich immer noch einen so wundervollen, buschigen Türkenschnurrbart habe! Ob Frau Tanja meinen Schnurrbart auch so toll findet wie ich? Oder ob sie uns womöglich nur deswegen hilft, weil sie als Ostfriesin in Deutschland selbst zu einer verspotteten Minderheit gehört?!
»Sagen Sie mal, Frau Tanja, kennen Sie eigentlich Ostfriesenwitze?« frage ich, während wir zum Auto
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