Kanaken-Gandhi
streitenden Parteien Position zu beziehen, fahren sie mit freundlichem Gruß an uns vorbei. Das nenne ich nicht nur gerecht, sondern auch noch höflich.
Der böse Osi ist außer sich vor Wut:
»Osman, du Idiot! Willst du so lange warten, bis die Horde uns umbringt? Fahr endlich los! Mach ihn platt, das Schwein!«
Der liebe Osi antwortet nicht mehr. Er hat sich in eine hintere Ecke verkrochen. Nach einer Weile meint er:
»Das kannst du nicht machen, die Skins werden uns bei der Polizei anzeigen. Das ist schon Grund genug für eine Abschiebung!«
»Das ist mir doch egal! Willst du hier wie ein Wurm krepieren? Du hast doch selber gerade gesehen, wie korrekt sich die Polizei verhalten hat. Von denen brauchst du keine Hilfe mehr zu erwarten. »
Als die Windschutzscheibe völlig zertrümmert ist, gibt endlich auch der gute Ost nach. Beide Osis überzeugen mich, dass ich endlich Gas geben muss. Sonst wird keiner von uns dreien lebend aus dem Wagen rauskommen. Ich halte die Kupplung und lasse den Motor aufheulen. Ich kneife die Augen zusammen und lasse die Kupplung los. Die drei Minuten und zwölf Sekunden von null auf 100 zeigen ihre Wirkung: Anstatt wie eine Sternschnuppe wegzufliegen, hat der Glatzkopf genug Zeit, zur Seite zu gehen. Schade, sonst hätte ich einen Wunsch frei gehabt!
Als ich mich dann zu Hause endlich völlig erschöpft neben Eminanim ins Bett fallen lasse, geht ganz leise unsere Schlafzimmertür auf. Hatice kommt mit aufgerissenem Augen wie eine Schlafwandlerin herein. Sie schaut keinen von uns beiden an. Mit kleinen Schritten kommt sie auf uns zu und setzt sich mitten auf das Bett.
»Hatice, mein Kind. was ist denn los? Hast du schlecht geträumt?« fragt ihre Mutter.
Aber Hatice gibt keinen Ton von sich. Sie sitzt mitten auf dem Bett, ohne sich zu rühren, und starrt mit leerem Blick die Wand an.
»Eminanim, was hat das Kind denn?«
»Woher soll ich das wissen! Sie macht so was zum ersten Mal heute! Ich weiß nicht, was ich machen soll, ihr Verhalten ist mir auch unheimlich. Vielleicht verleitet ihr Unterbewusstsein sie dazu. Bestimmt möchte sie nicht noch einmal morgens ihre Mutter in so einem Zustand auffinden.«
»Hatice, Hatice, geh schon in dein Zimmer, mein Kind«, rufe ich meiner Tochter ins Ohr. Aber sie schaut mich nicht einmal an.
»Komm, Osman, lass uns schlafen. Mal sehen, was sie dann macht. »
Eine halbe Stunde nachdem wir das Licht ausgemacht haben, sitzt Hatice immer noch stocksteif und ohne ein Wort zu sagen zwischen uns, wie ein steingewordener Buddha! Hatice, unser Little Buddha!
»Komm, Hatice, leg dich hin, mein Kind«, flüstert ihr Eminanim zu, »du kannst heute Nacht bei uns schlafen.« Aber es ändert sich nichts! Hatice antwortet nicht.
»Osman, ich glaube, auf die Ereignisse der letzten Tage reagiert Hatice sensibler als wir. Ich habe richtig Angst um sie!«
Und bevor Eminanim zu schnarchen beginnt, nuschelt sie ganz leise:
»Osman, vielleicht will Hatice so was wie die gestrige Nacht verhindern. Du weißt ja, was dir der Arzt heute morgen gesagt hat: Möglicherweise rettet dir deine Tochter heute Nacht das Leben!
Mittwoch, 20. Juni, 9:25 Uhr
Kottzmeyer-Göbelsberg...Ingenieur Dünnebier... Abdullah
»Arbeitsamt« Necmeddin ... Dr. Rainer-Maria Knigge ...
Behördenpost ... Krieg der Computer ... Mohammed-Rüdiger...
Abschiebung ... van Gogh ... Magengeschwür ... Nummer 267 ...
Cholestratischer Ikterus ... Placebo ... Leckmikowski ...
Glatzenpost ... Little Buddha...
Mit unangenehmen Namen und schrecklichen Bildern im Kopf wache ich am »Tag drei nach dein Abschiebungs bescheid«
ausgesprochen übelgelaunt auf. Ich klettere laut fluchend aus dem Bett und knalle die Schlafzimmertür hinter mir zu. Meine Frau und die Kinder sind bereits auf und gucken Frühstücksfernsehen im Wohnzimmer, das genauso
durcheinander und unaufgeräumt ist wie meine Gedanken. Die ganze Familie scheint auf diese Abschiebung sehnsüchtig gewartet zu haben. Keiner kommt seinen normalen Verpflichtungen mehr nach, niemand geht zur Schule, und keiner räumt auf!
Wütend aber elegant trete ich mit dem Außenriss, wie seinerzeit unser Kaiser Franz Beckenbauer, gegen den erstbesten kleinen Pappkarton, der mir im Weg liegt. Das Ding fliegt in großem Bogen durch die Gegend und knallt gegen den Fernseher. Im selben Moment vollzieht sich genau das gleiche Phänomen wie gestern Abend bei der Glatzenpost: Jedes Familienmitglied schmeißt sich hinter die Couch oder versucht mit dein
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