Kanaken-Gandhi
Kopf unter einen Sessel zu kriechen. Alle tun so, als hätte jemand eine scharfe Handgranate ins Wohnzimmer geworfen. Meine früher so heldenhafte Familie hat sich in einen einzigen erbärmlichen Haufen jämmerlicher Angsthasen verwandelt.
»Stellt euch nicht so an! Deswegen braucht ihr doch keine Angst zu haben, Kinder. Mein Farbfernseher fliegt nicht so leicht in die Luft. Der ist nicht so ein Jammerlappen wie ihr!«
»Osman, du Idiot! Du kannst von Glück reden, dass du noch lebst«, vernehme ich ganz leise die Stimme meiner Frau, wie aus dem Jenseits. Ich gehe in die Küche, aus der ihre dumpfe Stimme drang. Reichlich konsterniert beobachte ich, wie die Tür des Gefrierschranks wie von Geisterhand aufgeht. Aus dem Türspalt quillt zuerst eine dicke Dunstwolke heraus, und dann krabbelt, bedeckt mit einer Schicht Ein-Millimeter dicken Schnees, Eminanim heraus! Sie zittert, bibbert und klappert am ganzen Körper.
»Frau, du musst da einiges nicht richtig verstanden haben!
Diese Methode, sich einfrieren zu lassen, wendet man erst nach dem Tod an.«
»Biiir, was, biir, die Ausländerbehörde, zzz!« klappert sie wie ein erschöpfter Storch, der gerade Fünflinge vorbeigebracht und eine junge Familie für den Rest ihres Lebens ruiniert hat.
»Aber Eminanim, das hat doch keinen Sinn. Die
Ausländerbehörde würde uns auch in einem Gefrierschrank verpackt ausweisen. Bei der Hitze in der Türkei taust du sowieso wieder auf!
»Biirr, zzzz und was die Skins ... biirr! »
»Ach, jetzt verstehe ich dich! Du versuchst dich im Gefrierschrank zu verstecken, für den Fall, dass uns die Skins angreifen. Deswegen ziehst du also mitten im Hochsommer zehn Pullover und drei kniela nge Unterhosen übereinander.«
Nachdem sie endlich halbwegs aufgetaut ist, schreit sie mich dampfend an:
»Du Trottel, was ich sagen will, ist doch, was die Ausländerbehörde und selbst die Skins nicht schaffen, nämlich uns zu beseitigen, das schaffst du mit links. Das war doch gerade eine Paketbombe, die du gegen den Fernsehapparat geknallt hast!«
Dann höre ich ihre Stimme auf einmal von draußen:
»Aber Osman, du brauchst jetzt keine Angst mehr zu haben.
Das kleine Paket ist ja zum Glück nicht explodiert.«
Das unheimliche Päckchen liegt auf dem Teppich direkt vor dem Fernseher.
»Schau doch«, flüstert Eminanim, als würden die Schwingungen ihrer Stimme die Bombe zum Explodieren bringen können, »da, guck, das Ding hat man uns anonym zugeschickt. Nur unsere Adresse ist drauf, aber kein Absender!«
»Nur weil der Idiot zu blöd ist, seinen eigenen Namen zu schreiben, denkst du gleich, das sei eine Bombe?!«
»Aber, Osman, hörst du denn niemals Nachrichten? Jeden Tag geht irgendwo in Europa eine Paketbombe von den Rechtsradikalen hoch. Und nach dem Steinwurf gestern Abend bin ich mir absolut sicher, dass die uns hier anonym eine Bombe zugeschickt haben!«
»Aber wenn das so wäre, dann müsste das Paket doch bei meinem eleganten Kaiser-Schuss sofort explodiert sein?«
»Nein, bei der Bundespost werden die Pakete ja auch die ganze Zeit durch die Gegend getreten. Die Mörder konstruieren die Päckchen doch so, dass sie erst dann explodieren, wenn der Empfänger sie öffnet.«
»Wenn das so ist, dann bitte ich Frau Kottzmeyer-Göbelsberg, das Paket für uns aufzumachen.«
»Osman, du bist wirklich sehr verdorben«, schimpft Eminanim.
»In den letzten Tagen fühlte ich mich immer so, als säße ich auf einer tickenden Zeitbombe. Und jetzt sitzen wir tatsächlich auf einer. Am besten, du nimmst jetzt dieses Paket und bringst es sofort zur Polizei«, fügt sie hinzu.
»Na toll, warum ausgerechnet ich?«
»Erstens, weil dein Name auf dem Paket steht, und zweitens, weil du der Mann im Hause bist!«
»So, so, wenn es dir also passt, dann bin ich der Herr im Haus, und wenn es dir nicht passt, dann bin ich nur der Kanake.«
»Kanake bist du sowieso, das steht nicht zur Diskussion. Aber leider Gottes bist du auch der Mann im Haus. Deswegen putzt du dir jetzt die Zähne, machst dir die Fingernägel sauber, klemmst dir das Paket unter den Arm und bringst es zur Polizei.«
»Das wollen wir doch mal sehen. Wenn ich noch einen Funken männlichen Stolzes besitze, wenn ich auch nur noch eine Prise Selbstachtung habe und wenn ich auch noch in Zukunft aufrecht und selbstbewusst durchs Leben gehen will, dann werde ich nie und nimmer mit diesem Paket einen Fuß vor die Tür setzen!«
Als ich fünf Minuten später mit der Paketbombe in der
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