Kanaken-Gandhi
der Stundenlohn ist. Sind es 8
Mark 50, ist es Frauenarbeit. Sind es 80 Mark 50, ist es Männerarbeit. Und du würdest 80 Mark 50 dafür bekommen.«
»Sie haben recht, Necmeddin- Efendi. Das ist ehrenvolle Männerarbeit. Wessen Wohnung ist das denn, die ich sauber machen muss? Aber sagen Sie denen, in meinem Alter lasse ich mich von dem Hausherren nicht mehr angrabschen. Ich weiß ganz genau, was solche Menschen mit den armen
Dienstmädchen so alles anstellen.«
»Osman; mach dir keine Sorgen. Du bist für den Job absolut qualifiziert. Die Firma wünscht sich nämlich Arbeiter, bei denen sich keine unnötigen Haare mehr auf dem Kopf befinden. Nur für den Fall, dass es doch mal zu einer kleinen radioaktiven Verstrahlung kommen sollte.«
»Sagen Sie mal, was ist das für eine komische Wohnung, die ich sauber machen soll?«
»Von einer Wohnung habe ich nichts gesagt. Das ist natürlich ein Atomkraftwerk. Du kannst sofort deine erste Schicht dort anfangen. Hier gebe ich dir die Adresse von der Firma.« Kaum habe ich die Visitenkarte eingesteckt, stößt jemand völlig außer Atem die Tür von unserem Cafe auf und brüllt mit hochrotem Kopf:
»Leute, hört mal zu! Es ist was Schreckliches passiert. Bei der Ausländerbehörde hat sich eine türkische Frau aus dem Fenster im zweiten Stock gestürzt!«
»Neeeiiin, das kann doch nicht wahr sein!« schreie ich auf und renne aus dem Cafe.
Bei Allah, Eminanim, warum hast du das getan?! Du kannst mich doch mitten in diesem Lebenskampf nicht alleine lassen!
Was soll ich denn nur ohne dich anfangen? Gemeinsam wollten wir doch die gesamte deutsche Ausländerbehörde, allen voran die Frau Kottzmeyer-Göbelsberg, in die Knie zwingen!
Zusammen hätten wir es auch sicherlich geschafft. Aber wie soll ich denn ohne dich dafür die Kraft aufbringen? Wie soll ich unseren Kindern erklären, was du gemacht hast? Bei Allah, warum hast du das getan? Wie kannst du denn vor einer drohenden Niederlage so schnell aufgeben? So kenne ich dich gar nicht! Während ich in Richtung Ausländerbehörde laufe, merke ich, dass mein Schnurrbart von den vielen Tränen ganz feucht geworden ist. Als mir das bewusst wird, lasse ich meinen Tränen erst recht freien Lauf. Ich habe meine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle und laufe laut weinend die Straße hinunter.
Eminanim, auf diese schreckliche Situation bin ich nicht vorbereitet gewesen. In allen Zeitungen stand doch geschrieben, dass Frauen in der Regel acht Jahre länger leben als Männer. Du solltest mir hinterher heulen. Es war deine Aufgabe, mich den Rest deines Lebens zu vermissen. Und so schlecht haben wir uns ja auch nicht verstanden!
Mein ganzes Leben mit Eminanim läuft wie ein Film vor meinen Augen ab. Nie habe ich es wirklich böse gemeint, wenn ich mal mit ihr geschimpft habe. Niemals wollte ich sie wirklich verletzen. Sie hat mich allerdings auch ein paar mal wirklich bis zur Weißglut genervt. Aber wer weiß, was in den Köpfen von Frauen vorgeht, möglicherweise hat sie ja auch alles ganz anders gemeint. Vielleicht war das ja nur eine andere Form von Liebe.
Vielleicht hat sie sich ja heute nur deswegen geopfert, um mich vor der drohenden Abschiebung zu bewahren!
Durch nichts hat sie mich ahnen lassen, dass sie mich so sehr liebt! Sie war wohl so ein Mensch, bei dem das Herz und der Mund oft verschiedene Sprachen gesprochen haben. Sie war ein so liebevoller Mensch! Wie sagt man doch so schön: Wenn der Blinde stirbt, dann hatte er blaue Augen, und wenn der Glatzkopf stirbt, dann schwärmt man von seinem seidigen Haar.
Was immer sie auch tat, es war von tiefer Liebe geprägt. Unsere Liebe war wohl stärker als die von Romeo und Julia, Tristan und Isolde, Cäsar und Kleopatra oder auch die von Oma Fischkopf und Opa Prizibilsky!
Ohne nach rechts und links zu gucken, laufe ich wie in Trance zur Ausländerbehörde. Während ich mit dem Jackenärmel meine Augen abwische, schießen mir tausend Fragen durch den Kopf. Ich habe immer wieder von Asylbewerbern gehört, die aus Verzweiflung Selbstmord begingen. Aber ich hätte nie gedacht, dass unsere Familie davon mal betroffen sein könnte.
Keuchend erreiche ich das Gebäude und kämpfe mich entschlossen durch das Meer der Schaulustigen. Ich glaube, meine verfluchte Akte ist bei der Behörde angekommen. Und wahrscheinlich hat die Ausweglosigkeit unserer Lage meine Frau in den Selbstmord getrieben.
Jetzt hat Eminanim alle Sorgen hinter sich gelassen. Mit nichts Weltlichem wird sie sich
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