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Kanaken-Gandhi

Kanaken-Gandhi

Titel: Kanaken-Gandhi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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Gelegenheit - auch wenn es nicht gerade das Weiße Haus ist -, zum Mikrofon gerufen zu werden und eine Rede zu halten. Und dieses Haus hier war sicherlich auch mal weiß. Jetzt ist es mehr das nikotingelbe Kulturzentrum. Aber so toll wie den J. F.
    Kennedy wird mich die Bürgerinitiative als Gastgeber garantiert nicht präsentieren.
    »Meine Damen und Herren, hier kommt er. der einohrige Asylbetrüger Osman Engin!«
    Nein, nein, so schlimm wird es schon nicht werden. Aber man wird mich bei der Vorstellung irgendwo zwischen einem US-Präsidenten und dem einohrigen Asylbetrüger einstufen.
    Es ist schon eine halbe Stunde über die Zeit, aber die Protestveranstaltung gegen meine Abschiebung hat immer noch nicht angefangen. Ich bin, ehrlich gesagt, angenehm überrascht, dass so viele Menschen ausschließlich meinetwegen heute Abend ins Bürgerzentrum gekommen sind. Langsam wird die Masse genauso unruhig wie ich.
    »Du, Mehmet, wann geht’s denn endlich los, die Leute langweilen sich hier schon«, frage ich meinen Sohn.
    »Wir haben noch etwas Zeit, Vater, das akademische Viertel sollte man bei so was schon abwarten. Die meisten Leute kommen ja noch!«
    »Aber wir sind doch schon zwei Viertelstunden über die Anfangszeit. Fast vierzig Minuten!«
    »Aber ich sag’ doch: akademisches Viertel!«
    »Ich hab’s ja gewusst, in der Uni gehen die Uhren doch anders.«
    »Na, Osman, ist doch ne tolle Veranstaltung geworden, oder?«
    klopft mir Ali, der selbsternannte Rächer aller entrechteten Ausländer, der Beschützer aller Witwen und Waisen, lässig auf die Schulter.
    »Ja, ja, toll gemacht, Ali. Aber wollen wir nicht so langsam mal anfangen?«
    »Kein Problem, wir fangen gleich an. Wir haben uns nur wegen der Eröffnungsreden noch nicht einigen können.«
    »Das ist doch ganz einfach. Mach es doch wie bei den US-Präsidenten: Ladies and Gentlemen, here is ... » »Nein, nein, nein, es geht nicht um den Inhalt, das ist nicht ganz so wichtig!
    Im Komitee für den heutigen Abend sind nicht weniger als acht verschiedene Initiativen zusammengeschlossen. Das Problem ist, in welcher Reihenfolge die Begrüßungsreden gehalten werden. Mach dir mal keine Sorgen, das kriegen wir schon hin.
    Aber jetzt mal unter uns, Osman, wenn die Sache mit der Abschiebung doch schief geht, dann ist ja wohl klar, dass ich in deine Wohnung einziehe?!« ruft er und verschwindet.
    »Nur über meine Leiche«, sage ich nicht. Ich will keine schlafenden Hunde wecken. Man weiß nicht, wozu die Leute bei dieser Wohnungsnot fähig sind.

    »Eins, zwei, eins, zwei; Mikrofontest, Tonprobe!« Oh, endlich, jetzt geht’s los!
    »Sagen Sie mal, wann bin ich denn dran mit meiner Rede?«
    frage ich erwartungsvoll.
    »Das dürfen Sie mich nicht fragen. Ich bin hier nur für die Anlage zuständig«, ruft der Mann von der Bühne runter und pustet dreimal kräftig in das Mikro.
    »Jetzt geht’s loooos, jetzt geht’s loooos«, singt der ganze Saal im Chor. Mit soviel geballter Kraft im Rücken kann mich bestimmt keine Behörde mehr abschieben.
    Froh, das ganze Volk hinter mir zu haben, brülle ich mit:
    »Jetzt geht’s looos, jetzt geht’s loooos«, und haue mit den anderen dabei rhythmisch auf die Tische. Endlich kommt ein junger Bursche mit Vollbart unter dem starken Beifall der Besucher auf die Bühne.
    »Guten Abend, liebe Freundinnen und liebe Freunde, und die zahlreichen von uns eingeladenen Medienvertreter begrüße ich auch im voraus, obwohl die noch nicht da sind!«
    Ich halte es bei meiner Frau am Tisch nicht mehr aus und stehe startklar neben der Bühne, jederzeit bereit, einer plötzlichen Einladung nachzukommen.
    »Wir haben uns heute Abend hier versammelt unter dem bewegenden Motto: »Ein Herz für Ausländer««, ruft er weiter.
    Dieser tolle Spruch bekommt zurecht unser aller Beifall. »Und ich sage euch, wer auch nur ein Leben rettet, der rettet da selbst die ganze Welt. Wer auch nur einen Menschen abschiebt, der schiebet alsda die ganze Welt ab!«
    Nach diesem unglaublichen Satz springt der ganze Saal auf und klatscht begeistert Beifall.
    »Ich möchte mich kurz vorstellen, ich bin der stellvertretende Vorsitzende vom »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst e.V.«.
    Um diesen Solidaritätsabend möglich zu machen, hat unser Verein ganz alleine in der Kürze der Zeit 750 Plakate drucken lassen und sie über Nacht in der ganzen Stadt angeklebt«, ruft er weiter.
    Der Beifall kommt jetzt nur noch von drei Tischen, rechts von der Bühne. Alle anderen

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