Kanaken-Gandhi
mehr rumärgern müssen. Nicht mit den Kindern, nicht mit der Ausländerbehörde, nicht mit dem Vermieter, nicht mit den Nachbarn, nicht mit der Gesundheit, nicht mal mehr mit mir!
Eminanim gibt es nicht mehr! Sie ist tot!!
Nie mehr werde ich ihre liebe, warmherzige Stimme hören.
Nie mehr werde ich hören, wie sie meiner Tochter sagt:
»Hoffentlich kotzt der Penner mir nach dem fünften Bier nicht die ganze Bude voll!« Nie mehr wird sie mich hysterisch anschreien: »Osman, damit du es weißt, alle meine vier Orgasmen der letzten 33 Jahre waren nur vorgespielt, du elender Versager!« Nie wieder wird sie ironisch anmerken: »Deine Haare waren klüger und konsequenter, als ich es jemals war. Die haben sich rechtzeitig von dir getrennt!« Nie mehr wird sie hinter mir herrufen: »Was rennst du denn wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend! Bleib doch stehen, ich kann nicht so schnell.« Aber ich kann mich gar nicht genau erinnern, wann sie mir das gesagt haben soll.
»Bleib doch endlich stehen, du Idiot!« wiederholt die warmherzige Stimme meiner Frau aus dem Jenseits. Und ich spüre ihren Geist förmlich hinter mir.
Ich habe nie gewusst, dass ein Geist so schnell laufen kann.
Dazu auch noch ein weiblicher Geist! Als dieser Geist mir die Handtasche, die er mit sich rumschleppt, auch noch von hinten auf den Kopf knallt, werde ich auf brutale Art und Weise mit der Realität konfrontiert.
»Eminanim, was machst du denn hier? Ich denke, du bist tot?
Was hast du denn in der Handtasche? Du hast mir meinen Kopfverband total ruiniert!«
»Osman, was ist los mit dir? Warum soll ich denn tot sein?«
»Aber du hast dich doch meinetwegen vom Fenster der Ausländerbehörde runtergestürzt!«
»Aber das war doch nicht ich. Die Frau, die das getan hat, ist auch nicht tot. Die hat sich nur ein paar Knochen gebrochen.«
»Aber ich dachte doch, weil du da warst und weil eine Türkin
... »
»Osman, warum sollte ich mich denn umbringen, wenn sie dich abschieben wollen. Kannst du mir das mal bitte in Ruhe erklären?« keift sie mit ihrer typisch nervigen Stimme.
»Ja, weil Romeo und Julia und weil Klo..., Kleo...«
»Was quasselst du denn da für einen Unsinn? Was für ein Klo? Was machst du hier eigentlich, du solltest dir doch eine Arbeit besorgen! Mit diesem Romeo-und-Julia-Ding willst du doch nur davon ablenken!«
»Ich habe Arbeit gefunden. Aber sag mal, ist unsere Akte denn schon angekommen?«
»Keine Ahnung! Aber wir sind gleich dran.«
»Du meinst, der Laden läuft einfach so weiter, obwohl hier gerade jemand versucht hat, Selbstmord zu begehen?«
»Wenn sie bei jedem Selbstmord die Ausländerbehörde schließen würden, dann kämen wir doch niemals dran. Ich sage dir, das würde die Zahlen dieser Verzweiflungsakte noch in ungeahnte Höhen treiben.«
»Naiv wie ich bin, habe ich doch immer geglaubt, dass Frauen gefühlvoller als Männer seien.«
»Von Gefühlen kann man sich nichts kaufen. Komm, wir sind jetzt dran. Lass uns reingehen.«
Unsere Sachbearbeiterin hat mal wieder nur Augen für ihren Behördencomputer.
»Guten Tag, Frau Kottzmeyer-Göbelsberg«, ruft Eminanim in den Raum.
»Mahlzeit«, knurrt sie nur, mit einem kurzen Blick auf die Wanduhr.
»Wir beide möchten uns entschuldigen für unsere Landsmännin. Da gibt es so viele Brücken und Hochhäuser in der Stadt, aber diese Ausländer müssen immer hier runterspringen. Uns persönlich ist das sehr peinlich.«
»Ja, das ist wirklich grauenhaft«, klagt Frau KottzmeyerGöbelsberg verschwitzt, ohne uns anzugucken, »nicht mal bei dem Wetter dürfen wir die Fenster aufmachen. Entweder stürzen die Moskitos von außen rein, oder die Ausländer von oben runter! Aber die Behördenleitung hat schon was dagegen getan«, und sie deutet auf ein großes Schild neben dem Fenster:
»Runterspringen während der Arbeitszeit untersagt!«
»Also, Herr Engin, Ihre Akte ist endlich hier angekommen.
Die Papiere sind aus Versehen bei den Kollegen von der Denkmalpflege gelandet. Wir haben jetzt alles schwarz auf weiß. Wie ich Ihnen schon vor ein paar Tagen gesagt habe, der Asylantrag, den Sie vor zwei Jahren gestellt haben, ist endgültig abgelehnt worden. Auch die Revision, die Sie eingelegt haben, wurde abgelehnt! Aber all das hat Ihnen Ihr Anwalt sicherlich schon erzählt! »
»Nein, mein Anwalt weiß nicht mal, dass ich angeblich einen Asylantrag gestellt haben soll.«
»Nun ja, aber gegen diesen Bescheid kann er sowieso nichts mehr bewirken. Montag
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