Kanaken-Gandhi
pfeifen und schreien: »Buuuhh, pfuuuii! Aufhören, aufhören!«
Der Redner regt sich richtig auf:
»Dass hier jetzt einige pfeifen, ändert überhaupt nichts an der Tatsache, dass die anderen Organisationen nur auf dem Papier, bzw. auf den Plakaten als Mitveranstalter für den heutigen Abend aufgetreten sind. Keiner in den Initiativen hat daran gedacht, uns Helfer zu schicken, um die Stühle aufzubauen.«
»Pfuuiii, huuuhh, Lügner!«
Ein anderer junger Bursche stürmt an mir vorbei auf die Bühne und schiebt den Redner energisch vom Mikrofon weg.
»Guten Abend, liebe Freundinnen und Freunde! Das kann hie r so nicht unwidersprochen im Raum stehen bleiben. Ich bin der Sprecher der Initiative »Das Haar in der Suppe missfällt uns sehr, selbst wenn es vom Haupt der Geliebten wär«. Unsere tagelangen Bemühungen, die Medienvertreter von Zeitungen, Funk und Fernsehen für die heutige Veranstaltung zu mobilisieren, wird typischerweise mal wieder nicht erwähnt. In diesem Zusammenhang möchte ich die Leute von »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst e.V.« doch mal fragen, wer denn eigentlich die Vorlage für das Plakat zusammengestellt hat? Die können auch nicht leugnen, dass wir den Saal für diese Veranstaltung organisiert haben.«
Ich zupfe von unten vorsichtig an seiner Hose und frage leise:
»Und ich? Wann muss ich denn meine Rede halten?«
»Halt dich da raus! Dich hat keiner gefragt«, zischt er zu mir runter, während er das Mikro zuhält, und ruft danach mit engagierter Stimme in den Saal:
»Weil die Typen noch nie einen so gelungenen Abend organisiert haben, können die Brüder doch gar nicht wissen, wie kompliziert es ist, in so kurzer Zeit einen passenden Saal zu mieten!«
Blitzschnell springt diesmal eine junge Frau mit Igelfrisur auf die Bühne und reißt das Mikro an sich: »Den ganzen Abend schon, auch hinten im Büro, reden die Leute von der Initiative
»Das Haar in der Suppe missfällt uns sehr, selbst wenn es vom Haupt der Geliebten wär« davon, wie schwierig es war, diesen Saal zu mieten. Ich frage Sie, liebes Publikum, was soll denn daran kompliziert sein? Verzeihen Sie bitte, dass ich so aufgebracht bin. Ich habe sogar versäumt, mich vorzustellen. Ich bin die Ilse, vom Komitee »Quod tibi fieris non vis, alteri non feceris«. Was auf gut deutsch heißt: »Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu«! Unser Komitee hat die gesamte Saalmiete für den heutigen Abend ganz alleine aufgebracht. Aber davon spricht kein Mensch, obwohl das mit Sicherheit das Wichtigste ist.«
Tosender Beifall kommt von den vier Tischen ganz hinten am Eingang, während alle anderen demonstrativ gähnen.
Vorsichtig zupfe ich an ihrem langen, blauen Hippierock, um mich von unten bei ihr bemerkbar zu machen. Und frage ganz leise:
»Entschuldigen Sie, Fräulein, wann darf ich denn meine Rede halten? Schließlich geht es doch um meine Abschiebung!«
»Fummel nicht an meinen Beinen rum, du Macker!« Und sie zerquetscht mit ihrem schweren Stiefel meine rechte Hand.
»Osman, das ist ja wohl die Höhe, wie kannst du denn nur der armen Frau vor allen Leuten einfach unter den Rock packen«, bekomme ich anschließend am Tisch noch von Eminanim zu hören. Während ich meine Hand im Colaglas kühle, stöhne ich:
»Aber Frau, was sollte ich denn sonst machen? Du siehst doch, die nehmen überhaupt keine Notiz von mir. Die Leute hier machen sich doch nur alle gegenseitig fertig. Die können ihre Grabenkämpfe doch woanders austragen. Wir sind schon fast zwei Stunden hier, und die haben meinen Namen noch kein einziges Mal erwähnt.«
»Was soll’s, das Programm gefällt dem Publikum offenbar.
Irgendwie sind alle Besucher Mitglieder von irgendwelchen Vereinen. Unseretwegen scheint gar keiner gekommen zu sein.«
Plötzlich stürmen zwanzig ausländische Kinder in Folklorekostümen auf die Bühne. Eine schrecklich laute Musik aus einem kleinen Kassettenrecorder untermalt ihren Auftritt.
»Komm, Eminanim, gehen wir raus. Diese Folkloregruppe habe ich schon fast tausendmal ertragen müssen. Lass uns an Alis Döner-Stand eine Kleinigkeit essen.«
Während wir kauen, macht Ali Kassensturz: »Na, Osman, war doch eine gelungene Veranstaltung, oder? Ich habe einen Bombenumsatz gemacht!«
Bevor ich unhöflich werde, zieht meine Frau mich zur Seite:
»Du, Osman, ich habe am Nebentisch gehört, dass die Behörden bei einer Abschiebung nicht bis zum letzten Tag warten. Damit die Leute nicht heimlich
Weitere Kostenlose Bücher