Kanaken-Gandhi
dünne Wolldecke, die mir einer der Wärter gegeben hat, auf die Sitzmöglichkeit und strecke mich aus. Aus dieser Position kann ich vielleicht auch an der Decke noch was Neues entdecken.
Ich weiß nicht, wie lange ich nach oben gestarrt habe. Aber erst jetzt kann ich so halbwegs nachvollziehen, was Eminanim wohl gemeint hat, als sie des öfteren sagte: »Osman, ich werde verrückt in dieser Wohnung. Den ganzen Tag eingesperrt in diesen vier Wänden. Ich habe das Gefühl, mir fällt gleich die Decke auf den Kopf.«
»Aber das sagst du doch schon seit Jahren«, machte ich mich immer über sie lustig, »letzten Endes sind Schuppen und Lockenwickler das einzige, was von deinem Kopf runterfällt.«
Jetzt habe ich richtiges Mitleid mit all den Hausfrauen, die sogar ein ganzes Leben lang in einer Zelle sitzen müssen. Rechts die Küche, links das Kinderzimmer, geradeaus das Bad. Und abends kommt der Triebtäter! Frauen, die sich in ihrer Häuslichkeit zu Tode langweilen und mit der Zeit immer träger und träger werden und immer blöder und blöder, je länger sie in ihren vier Wänden eingesperrt sind ... Eminanim hat unter diesen Umständen sogar jahrelang versucht, ihr Bestes zu geben.
Sie hat es sogar geschafft, jeden Tag für mich zu kochen. Jeden Tag gab’s was Warmes, wenn ich nach Hause kam. Das Tragische daran war nur, ich musste das Zeug auch Tag für Tag essen. Na ja, in dieser Situation sollte ich lieber nicht über meine Frau lästern. Mir fällt nämlich langsam selbst die Decke auf den Kopf. Ein lautes Quietschen stört mich beim Nachdenken. Ein kleines Guckloch ist an der schweren Eisentür geöffnet worden.
Irgendein Unbekannter leuchtet mit seiner grellen Taschenlampe in meine Zelle. Und das jetzt schon zum dritten Mal. Ich fühle mich massiv in meiner Intimsphäre gestört. Wenigstens im Knast sollte man seine Ruhe haben. Mit einem
Papiertaschentuch, das ich am Boden einweiche, verstopfe ich das Guckloch. Wenn sie mir was zu sagen haben, dann sollen sie anklopfen und reinkommen, wenn ich sie rufe. Das ist hier ein Gefängnis und keine Peep-Show. Zum ersten Mal, seitdem ich hier bin, fühle ich mich in meiner Persönlichkeit wieder etwas gestärkt. Oder besser gesagt, seit meiner Hochzeit. Nein, nein, nein, alles lasse selbst ich nicht mit mir machen!
Plötzlich hallen laute Schritte auf dem Flur. Und alle Schlösser der dicken Eisentür werden ruckartig nacheinander aufgeschlossen. Drei Gäste besuchen mich in meiner trostlosen Zelle. Zwei greifen mich an den Armen und reißen mich vom Zementsockel hoch.
»Tut mir leid, Jungs, ich habe euc h leider nichts anzubieten, nicht mal ein Glas türkischen Tee«, sage ich. Der dritte Polizist rammt mir den Schlagstock mit aller Kraft in den Magen. Die beiden anderen lassen mich los, und ich versinke im Schlamm.
Der Schläger kratzt das Schlamm- Taschentuch vom Guckloch ab und wirft es mir an den Kopf. Von dem Schlag in den Magen ist mir ganz übel. »Hey, hat mal einer von euch eine Kotztüte?
Ich glaube, ich muss brechen!«
»Die Ratte wohnt mitten im Klo und will eine Plastiktüte zum Kotzen haben. Mensch, deine Sorgen möchte ich haben«, macht sich einer über mich lustig.
Dann gehen meine Gäste raus, ohne sich zu verabschieden.
Alle Schlösser an der Tür werden nacheinander wieder verriegelt.
»Ihr Schweine! Das war glatter Hausfriedensbruch!« schreie ich hinter denen her, um meine Wut über den Schlag in den Magen loszuwerden. Aber wiederum nicht so schrecklich laut, dass die Schläger es hören können. Ich will den Mistkerlen ja keinen neuen Anlass zum Hausfriedensbruch geben. Sie hätten mir schließlich auch ganz normal sagen können, dass sie Probleme mit dem Taschentuch am Guckloch haben! Meine schöne neue Uniform haben sie auch total versaut, die Mistkerle!
Die Wärter hier sind noch ungerechter als mein Meister in Halle 4 und Frau Kottzmeyer-Göbelsberg zusammen. Eigentlich sollte ich auf der Stelle eine Gefängnisrevolte starten. Aber ich habe überhaupt keine Zellennachbarn. Der ganze Flur scheint leer zu sein. Wie kann ich in diesem kahlen und stinkenden Betonraum randalieren? Ich könnte höchstens mit dem Holzpfropfen vom Plumpsklo gegen die Tür schlagen. Aber außer den Wärtern interessiert das wohl niemanden hier.
Höchstens die Ratten. Aber mit einer Gefängnisrevolte würde ich mich richtig strafbar machen. Bis jetzt habe ich mir eigentlich nichts zu Schulden kommen lassen. Außer, dass ich den Jungs vom
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