Kanaken-Gandhi
zu bekommen. Keine Kinder, die an der Tür trommeln: »Papa, komm endlich raus! Ich muss dringend Pipi!«
Aber wie sollte das möglich sein, ich habe schon seit mehreren Tagen kaum was gegessen. Und diese Zelle hier ein Klo zu nennen, wäre eine Beleidigung für alle Klos. Selbst für die Autobahnklos in Serbien. Das Ding hier hat nicht mal eine Kloschüssel, geschweige denn eine Spülung. Zweitens habe ich noch kein Klo erlebt, dass so erbärmlich gestunken hat. Drittens gibt’s hier nirgendwo ein Fenster. Nur über die Größe kann ich mich nicht beschweren. Das ist vermutlich die gültige EG-Norm für Hundeklos: zwei mal zwei Meter. Zum Glück habe ich diese Krankheit nicht, bei der einem in geschlossenen, engen Räumen schlecht wird. Aber bei diesem Gestank wird mir schlecht. Als die Wächter und der Vorposten weggehen, komme ich mir vor wie in der Wohnung von Oma Fischkopf. Nicht, dass ich schon mal bei ihr in der Wohnung gewesen wäre. Aber die Geräusche sind haargenau die gleichen, wenn sie die Türe hinter sich abschließt. Erst wird mit dem dicken Schlüssel ein großes Schloss verriegelt. Dann weiter unten ein etwas kleineres Schloss. Dann wird ein riesiger Eisenriegel vorgeschoben.
Durch den wird noch mal eine schwere Stahlkette gezogen und diese zum Schluss noch mal zusätzlich abgeschlossen. Gut, bei Oma Fischkopf sehe ich diesen Aufwand an
Sicherheitsmaßnahmen ein. Sie hat berechtigterweise Angst, dass man ihre Aussteuer aus den zwanziger Jahren und dazu noch ihre Unschuld rauben will. Aber ich habe hier doch keine Aussteuer versteckt. Ich habe nicht mal Schnürsenkel. Langsam gewöhne n sich meine Augen an die Dunkelheit. Wie im Kino, wenn man während des Films reinstolpert, alle Zuschauer nervt und dann endlich nach einer Weile einen freien Platz erkennt, genauso erkenne ich eine Sitzmöglichkeit in diesem Rattenloch.
Der gravierende Unterschied ist aber, ich bin der einzige Zuschauer in diesem grässlichen Horrorfilm.
Die Sitzmöglichkeit ist etwa einen halben Meter hoch, fünfzig Zentimeter breit, ein Meter achtzig lang. Und besteht aus altem Zement. Bei Allah, dieser kalte Klotz soll ein Bett sein? Und es ist das einzige, was sich außer diesem Plumpsklo-Loch in dieser Zelle befindet. Diese Zelle muss sehr, sehr alt sein. Hier haben im Mittelalter bestimmt viele arme alte Frauen ihre letzten Tage verbracht, bevor sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden.
Viel Platz zum Bewegen habe ich hier wirklich nicht. Wie haben hier nur fünf Abschiebehäftlinge vier Monate lang Platz gefunden? Entweder waren das Liliputaner oder Gartenzwerge.
Oder der Vorposten kann nicht bis fünf zählen. In keinem Schrebergarten darf man so viele Gartenzwerge auf so engem Raum zusammenpferchen. Die Wände, die Decke und der Liegestein sind aus massivem Zement gebaut. Nur den Boden haben sie so gelassen, wie er seit dem Schöpfungstag existiert: Nackte Erde und total matschig! Wie kommt denn der ganze Schlamm hier rein? Ich sehe kein Loch, durch das es reinregnen könnte! Vier Quadratmeter Deutschland, ganz für mich alleine.
Ich erkenne viele künstlerisch wertvolle Zeichnungen an den sonst kahlen Wänden. Alle Graffitis haben das gleiche interessante Thema. Es geht grundsätzlich um die Sache, wegen der ich mir vor ein paar Tagen in meinem ehemaligen Kleiderschrank die Knie kaputtgehauen habe. Aber auf diesen Bildern hat niemand ein Batman-T-Shirt an, geschweige denn gelbe Anglerstiefel mit Strapsen. Wie langweilig und einfallslos sind doch diese Leute. Es muss was dran sein - der Knast stumpft die Menschen ab. In allen Sprachen der Welt haben meine zahllosen Vorgänger Wörter und sogar Sätze in den Putz hineingeritzt. »Fuck Kottzmeyer-Göbelsberg!« hat da ein Schicksalsgenosse von mir geschrieben. Die Dame hat also auch andere Freunde.
»Ein Volk, dass seine Fremden nicht schützt, wird bald untergehen! Johann Wolfgang von Goethe«, ist neben dem Steinsockel eingeritzt.
Bei Allah, den berühmten alten Mann haben sie hier auch eingesperrt! Jetzt wird mir klar, warum ich strenger bewacht und beschützt werde als die Aussteuer von Oma Fischkopf. Die Deutschen wollen nicht untergehen. Die meisten anderen Graffitis kann ich nicht lesen, weil sie in Sprachen geschrieben sind, die ich nicht verstehe.
Ich hocke mich auf die Zementliege. Dieser Raum ist kleiner als mein Ford- Transit von innen. Ich nehme jeden Zentimeter dieser Zelle ins Visier, so weit mir dies bei der Dunkelheit möglich ist. Ich lege die
Weitere Kostenlose Bücher