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Kanaken-Gandhi

Kanaken-Gandhi

Titel: Kanaken-Gandhi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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Polizeirevier bei uns um die Ecke mit dem türkischen Honig meiner Schwiegermutter einen Mords-schrecken eingejagt habe. Ich male mit dem Finger im Schlamm herum. Wenn ich die Augen zuhalte, kann ich mir die Fototapete mit dem Sonnenuntergang im Bürocontainer vorstellen. Ich träume, ich sitze am Strand und spiele mit dem nassen Sand.
    »Tanja liebt Osman«, schreibe ich. Und wische es wieder ganz schnell weg, noch bevor Eminanim, die Kinder oder die Wärter es sehen können.
    Dann fällt mir ein, dass ich am Strand in der Türkei mit Freunden immer Backgammon gespielt habe. Mit den Fingern zeichne ich auf den weichen Boden ein Backgammonbrett. Aus dem dreckigen Papiertaschentuch bastele ich Spielsteine. Das restliche Papier rolle ich zu einer Kugel und mache daraus den Würfel. Einen runden Würfel. Eine geniale Idee. So kann keiner schummeln.
    Ich zeichne die Zahlen von eins bis sechs mit dunklem Schlamm auf den Würfel. Leider habe ich nur einen Würfel.
    Aber das macht nichts, ich kann ja zweimal werfen. Soviel Zeit sollte man sich schon nehmen im Gefängnis. Ich rolle meinen Würfel auf dem Zementsockel und beginne zu spielen.
    Nach einer Weile geht an der Tür in Bodenhöhe ein größeres Guckloch auf. Ein Wärter reicht mir wegen des starken Gestanks in der Zelle eine Spülschüssel mit etwas Abwaschwasser herein.
    »Danke«, sage ich, »aber ob so ein bisschen Wasser gegen den üblen Gestank wirklich was bewirken kann, das bezweifele ich«

    und schütte das Spülwasser in das Plumpsklo. »Hey, was machst du denn da?« schimpft mein Wärter. »Was soll ich mit Spülwasser denn sonst machen? Ich habe doch gar kein Geschirr zum Abwaschen. Übrigens, ich habe schon seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen. Was hältst du davon, wenn du mir einen Döner von der Ecke holst. Das Geld kriegst du später.«
    »Das war gerade dein Essen.«
    Kurz darauf höre ich die Spülung über mir und beobachte, wie die Flut in meiner Zelle steigt.
    »Hey, Kumpel, hör auf mit dem Quatsch! Willst du mich hier unten wie eine Ratte ersaufen lassen?«
    Gleich danach gehen alle Schlösser meiner Zelle erneut auf und meine drei brutalen, ungebetenen Gäste kommen hereingestürmt. Einer packt meinen rechten Arm und dreht ihn nach hinten, bis es knackt. Der Zweite reißt mir den Kopf nach hinten und steckt mir einen Trichter in den Mund. Der Dritte kippt mir aus einem Blechnapf irgendeine kalte, geschmacklose Brühe in den Hals. Unter schrecklichen Würganfällen schlucke ich das Zeug bis zum letzten Tropfen.
    »Wir haben es nicht gerne, wenn hier so ein Kaffer gleich am ersten Tag einen Hungerstreik anfängt. Wir können auch anders.« Dann schubsen sie mich in die Ecke und gehen raus.
    Anschließend wird die Tür wieder sehr sorgfältig verriegelt.
    Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Ich bin völlig geschockt! Das war gerade eine Viehfütterung! Das ist schlimmer als eine Viehfütterung! Bei uns im Dorf werden sogar die Kühe respektvoller behandelt als hier die Menschen!
    Ich ziehe mich mühsam hoch und lege mich auf meinen Zementsockel. Ich habe ein ganz komisches Kribbeln im Bauch.
    Das ist die Ungewissheit, dass ich in etwas verwickelt bin, dessen Ausgang ich nicht kenne. Dieses seltsame Gefühl hatte ich schon vor ein paar Tagen beim Tablettentesten. Ähnlich dem eigenartigen Gefühl, wenn der Flugzeug-Pilot durchsagt, dass jetzt leider beide Triebwerke ausgefallen sind. Und der Sitznachbar dumme Sprüche macht, wie: »Runter kommen wir schon irgendwie. Oben geblieben ist bisher noch keiner!« Oder genauso wie die letzten Sekunden vor einer schweren Prüfung.
    Oder wie der erste Arbeitstag beim neuen Job. Genau wie die Zitterpartie, ob ich diesen Gemüseladen von Yusuf übernehmen kann, oder ob mich dieser verdammte Walter Leckmikowski austrickst. Und die quälende Ungewissheit, ob ich in Wirklichkeit nicht doch ein Inder bin! Meine Augenlider werden schwer, und ich lasse sie zufallen. Die letzten Tage lasse ich vor meinem inneren Auge Revue passieren. Ich merke, dass ich immer müder werde. Im Stillen hoffe ich, dass ich den Traum von heute morgen mit Frau Tanja und mir in den Haup trollen weiter träumen kann. Ganz bewusst helfe ich diesem Traum nach, indem ich denke: »Oh, geliebte Tanja, nur du und ich alleine auf dieser Südseeinsel! Ist das nicht toll?«
    Ein lautes Quietschen stört meinen Traum. »Aufstehen! Du bist nicht im Hotel!«
    »Entschuldigung, Herr Wärter. Ich habe gar nicht gewusst, dass man hier nicht

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