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Kanaken-Gandhi

Kanaken-Gandhi

Titel: Kanaken-Gandhi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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dass Moslems viele Goldzähne im Mund haben. Selim war heilfroh, dass in seinem Dorf niemand erkannte, dass die fremde alte Frau nicht sein toter Vater war, der so lange Jahre in Deutschland gelebt hatte.
    Das einzige, was Selim inzwischen wirklich ärgert, ist, dass er im Urlaub jedes Mal mit seinen Verwandten am Grab einer fremden Oma für seinen Vater beten muss. Wo der wahrscheinlich ein paar tausend Kilometer weiter weg auf einer serbischen Müllkippe liegt. Jetzt betet er für seinen Vater nur noch im Flugzeug, wenn er Serbien überfliegt. Nach diesem Vorfall haben sich alle Türken in Deutschland die Goldzähne rausnehme n lassen, Im Gegensatz zur offiziellen Meinung ist auf dem Balkan selbst Amalgam auf lange Sicht gesünder als Gold.
    Mittlerweile kommt mir mein Zementsockel kuscheliger und weicher vor als jedes Wasserbett. Ich lege mich lang hin und strecke die Beine aus. Meinen Körper fühle ich nicht mehr. Ich bin nur noch wohliger Schlaf; so gut wie ohnmächtig. Ich liege auf einer saftigen grünen Wiese im Schatten eines großen alten Baumes. Es ist angenehm warm, die Vögel zwitschern, die Grillen zirpen, und das Wasser des vorbeifließenden Baches plätschert.
    »Damit die Regel sauber und diskret abläuft«, brüllt mir Eminanim mit ihrer nervigen Stimme ins Ohr und reißt mich brutal aus allen Träumen. Mir bleibt fast das Herz stehen, und vor lauter Schreck falle ich von meinem Schlafstein in den Schlamm. »Ich fühle mich hier nicht mal mit zwanzig Schlössern an der Tür sauber, diskret und sicher«, brülle ich so laut zurück, wie ich kann. »Wenn die Wichser wollen, dann kann hier jederzeit irgend jemand reinkommen und mir grundlos was auf die Fresse hauen. Warum musst du eigentlich so schreien, Eminanim? Und wie bist du überhaupt hier reingekommen?«
    »Damit es kein böses Erwachen gibt«, schreit die blöde Frauenstimme erneut so laut, dass der ganze Raum wackelt.
    »Oh, doch, das gibt’s wohl!« brülle ich schlaftrunken zurück.
    Erst dann registriere ich, dass die Wärter offensichtlich einen Lautsprecher in der Decke auf volle Leistung gestellt haben. Mit Hilfe eines Radiosenders versucht man, mich wach zu halten.
    Bei meinem Pech habe ich natürlich nicht nur den blödesten Sender, sondern auch die allerblödeste Werbung erwischt. Eine Frau verkündet mit ernster Stimme - so als hätte sie das wichtigste Ereignis der Weltgeschichte anzukündigen - »Durch die Flügel von Always-Ultra fühle ich mich rundum geschützt.«
    So, als wenn diese kleinen Papierfetzen mit Airbags, Seitenaufprallschutz, Panzerglas und automatischem Feuermelder ausgerüstet wären. Ich habe diese Werbung nie gemocht!
    »Es ist genau 20 Uhr«, sagt die Nachrichtensprecherin. Das ist aber schön. Jetzt weiß ich wenigstens, wie spät es ist. Aber meine Verhaftung wird in den Nachrichten mit keinem Wort erwähnt. Das ist mal wieder typisch für die Deutschen! Kein Schwein nimmt Notiz von mir.
    Draußen ist es bestimmt noch hell. Lassen die mich hier nicht einschlafen, damit ich nachts besser schlafen kann? Oder soll dieses dämliche Spiel die ganze Nacht dauern? Zum Schluss werde ich aber doch noch erwähnt. Die Nachrichtensprecherin sagt mit belegter Stimme:
    »Erneut hat sich ein abgelehnter Asylbewerber in Abschiebehaft das Leben genommen!«

    Freitag, 22. Juni, 23 und noch was Uhr

    Bei Allah, meinen die etwa mich?
    Soll ich der abgelehnte Asylbewerber sein, der sich in der Zelle das Leben genommen hat? Vor ein paar Minuten haben sie diese Meldung in den 23 Uhr-Nachrichten wiederholt. »Nicht gleich durchdrehen, Alter! Immer cool bleiben«, versucht mich der abgebrühte Osi in mir zu beruhigen. »Wir wissen doch, dass du noch lebst. Sonst hätte man uns schon längst getrennt.«
    »Ja, genau, ich wäre im Paradies, du in der Hölle.«
    »Das ist doch Unsinn. Kein Mensch kann gleichzeitig in der Hölle und im Paradies sein«, schimpfe ich mit meinen verfeindeten Gewissensparteien.« Aber vielleicht bin ich ja in der Hölle. Wer sagt denn, dass es in der Hölle nur Feuer gibt?
    Vielleicht gibt es ja Unterbezirke, wo man auf ewig in der Scheiße hockt und Werbesendungen hören muss. Jedenfalls ist offiziell aus dem Jenseits noch keiner wieder zurückgekommen, der das mit dem Fegefeuer bestätigen könnte. Aber vielleicht ist ja auch die Hölle das wahre Paradies und das Paradies in Wirklichkeit die Hölle.«
    »Nur die Ruhe, nur die Ruhe, nichts überstürzen«, sagt der abgebrühte Osi, »und jetzt schlage mal

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