Kanaken-Gandhi
deinen Kopf ein paar Mal schön kräftig an die Wand.«
Paaaatt! Paaatt!
»Auuaaa!! »
»Also du siehst, wir leben immer noch. In den Nachrichten können sie unmöglich dich gemeint haben. Wie solltest du das auch schaffen in dieser völlig kahlen Zelle?«
»Aber es ist schon öfters vorgekommen, dass eine beschlossene Sache eher in die Presse gelangt, als sie in Wirklichkeit passiert. Ein US-Nachrichtensender hat den letzten Militärputsch in der Türkei bereits gemeldet, da waren die Generäle noch längst nicht soweit.«
»Wir sind doch nicht im Orient, wo jeder verschlafene General Militärputsch spielen kann. Hier in Deutschland wird nicht geschlurt. Hier ist man erst dann wirklich tot, wenn zwei Ärzte das auch schriftlich bestätigt haben und du garantiert nicht mehr sprechen und weglaufen kannst.« Erneut werden schlagartig alle Schlösser meiner Zelle aufgeschlossen. Wird die Radiosendung jetzt etwa wahr gemacht?!
»Wie viele?« brüllt der Wärter in meine dunkle Zelle.
»Einer!« brülle ich zurück.
»Richtig!« schreit er, macht die Taschenlampe aus und knallt die Eisentür wieder zu. Anschließend wird alles wieder sorgfältig abgeschlossen, wie es sich gehört. An dieses Spiel habe ich mich mittlerweile längst gewöhnt. Jede Stunde werden im gesamten Trakt die Zelleninsassen abgezählt. Der Zählvorgang verläuft in meiner Zelle meistens relativ unproblematisch. Bis eins können sogar diese Wärter zählen, ohne durcheinander zu kommen.
»Also, das war jetzt endgültig der Beweis, Osman, dass dich hier niemand umbringen will. Wenn man das vorhätte, dann würde man dich nicht ständig zählen.«
Nachdem sie Frau Tanja zu Boden ge schleudert und mich festgenommen hatten, brachten mich die beiden
Kriminalbeamten heute Mittag in ein großes Gebäude, genau in der Innenstadt. Dort musste ich auf einer Holzbank auf einem langen Flur, zusammen mit vielen anderen Ausländern, Platz nehmen. Die Tür des Büros, vor dem wir warteten, wurde immer für ein paar Sekunden aufgemacht, und dann wurden auch immer ein paar Leute vorbeigeschoben. Als ich an der Reihe war, packten mich die beiden Beamten an meinen mit Handschellen nach hinten gefesselten Armen und stellten mich genau in die Türöffnung. Einer der Zivilen klopfte an und machte die Tür auf. Im Büro saß jemand an seinem Schreibtisch und knabberte an seinem Butterbrot, während er eine Zeitung las. Mit einer lässigen Handbewegung verscheuchte er eine Fliege von seinem Pausenbrot, die wegen der Hitze zur Zeit immer öfter auftauchen. Danach ging die Tür auch wieder zu.
Ich habe nicht mal sehen können, ob der Mann groß oder klein war. Ich konnte nicht sehen, ob der Mann fröhlich oder verärgert war. Ja, ich konnte nicht mal sehen, ob der Mann ein Mann war.
»Hey, was soll denn dieses Spiel?« fragte ich verwundert meine Zivilen, als sie mich abführten.
»Das Spiel heißt: »mach ne Fliege«!« meinte der eine der beiden Kriminalbeamten.
»Das war der zuständige Untersuchungsrichter. Er hat soeben in deinem Fall nach langen Recherchen und ausführlichem Gespräch mit dir entschieden, dass es für dich das Beste ist, wenn du ein bisschen in Abschiebehaft kommst.«
»Wie denn? Was denn? Dieser Mensch mit dem Pausenbrot hat mich nicht mal eine halbe Sekunde angeguckt!« rief ich erschrocken. »Der Richter hat doch nur in sein Brot gebissen und eine Fliege verscheucht.«
»Nein, nein, das verstehst du falsch. Die Handbewegung bedeutet, wir sollen dich abführen. Und das hier ist dein Haftbefehl, den habe ich mir schriftlich geben lassen.«
Augenblicklich warf ich mich auf den Boden und schrie:
»Euer Ehren! Euer Ehren! Ich bin das Opfer eines Justizirrtums! Ich bin unschuldiger als die Jungfrau Maria!«
Aber die beiden interessierte das überhaupt nicht, und sie zerrten mich nach draußen.
»Euer Ehren, das war wirklich kein fairer Prozess. Sie haben mich nicht mal angehört!«
»Der braucht dich gar nicht anhören, er hat dich ja gesehen.
Und so wie du aussiehst, reicht das völlig aus für die Inhaftierung.«
In der Zeit, bis sie mich aus dem Gerichtsgebäude rausgeschleppt hatten, wurden noch sechs weitere Verhandlungen ab gehalten. Oder besser gesagt, der Richter knabberte noch ein paar Mal an seinem Butterbrot und verscheuchte sechsmal die lästige Fliege.
Mein Schreien hatte überhaupt keinen Sinn mehr, nach einem halben Butterbrot hätte er sich wohl kaum noch an mich erinnern können.
»Ja, mein Junge, wir sind halt
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