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Kanaken-Gandhi

Kanaken-Gandhi

Titel: Kanaken-Gandhi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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an. Gleichzeitig putzt sie sich mit den Zähnen sauber. Von meinem Liegeplatz aus werfe ich der Ratte eine paar Krümel vom restlichen Abendbrot zu. Blitzschnell greift sie das Brot und frisst es hastig auf. Ich komme mir vor wie in den Parkanlagen, wo ich des öfteren zusammen mit den Kindern die Enten gefüttert habe. Ich werfe der Ratte die letzten Brotkrümel zu und sage gönnerisch zu ihr:
    »Jetzt ist aber genug, heute Mittag hast du aus Versehen mein ganzes Essen bekommen. Nun verschwinde wieder. Ich muss schlafen!«
    Als ich demonstrativ aufstehe, springt sie blitzschnell in das Kloloch. Ich stopfe den Holzklumpen wieder rein und lege mich zufrieden auf mein gemütliches Steinbett.

    Samstag, 23. Juni, 6 und noch was Uhr

    Die Hälfte meines sogenannten Morgenkaffees, eine braune, lauwarme Brühe, kippe ich ins Loch für meine Freundin, die Ratte.
    »Quiek, quiek, quiek«, ruft sie begeistert. Woraufhin ich zwei Stücke Zucker hinterher schmeiße. Seit heute nacht spreche ich nahezu akzentfrei Rattisch.
    »Quiek, quiek!« bedankt sie sich höflich und fügt hinzu »Qui, quie, quiek!« Was auf Deutsch heißen soll: »Nach den verschiedenen Rattengiften in den letzten Monaten ist dieser leckere Kaffee ein wahrer Balsam für mich und meine Freunde.«
    »Bitte, bitte, gern geschehen«, rufe ich in das Plumpsklo hinein, aber natürlich in Form von: »Quiek, quiek!« Wenn man lange genug in einem kleinen Loch ganz alleine mit sich selbst eingesperrt wird, dann kann man plötzlich die unmöglichsten Sprachen sprechen.
    Dann öffnet sich die dicke Eisentür. »Los, komm mit!«
    Im Gegensatz zu Manfred von der Nachtschicht lässt dieser Wärter mich vorgehen und führt mich zwei Etagen höher in einen Büroraum.
    Drei Polizisten sitzen hier. Und in der Ecke steht Manfred.
    »Willst du was zu trinken haben?« fragt er mich auch gleich ganz freundlich.
    »Milchkaffee hätte ich gerne. Mit viel Milch und etwas Zucker.«
    »Hier gibt’s nur Kaffee«, brummt einer der Polizisten barsch,
    »Milch musst du dir selbst rein tun!«

    »Aber echter Milchkaffee ist doch was anderes als normaler Kaffee mit Milch«, sage ich. »Milchreis ist ja auch nicht Milch mit drei Körnern Reis drin«, rufe ich weiter, ziemlich ermutigt durch die Anwesenheit von Nachtwärter Manfred.
    »So, so, frech will er auch noch werden, und das am frühen Morgen! Nimm erst mal den Turban ah, wenn du mit mir reden willst! »
    »Das ist gar kein Turban. Das ist nur ein Kopfverband, weil man mir ein Ohr abgeschnitten hat.«
    »Das ist auch kein Wunder, bei deiner losen Zunge! Das andere reiße ich dir gleich auch noch ab!« »Entschuldigung, ich sage schon nichts mehr.«
    »Kommen wir zur Sache. Du bist also Osman Engin, der Asylschmarotzer!«
    »Nein, das bin ich nicht!«
    »Du leugnest also, Osman Engin zu sein?«
    »Nein, ich leugne es, Asylschmarotzer zu sein. Ich bin Schlosser in Halle 4 und zahle jede Menge Steuern. Zumindest war das die letzten Jahre immer so.«
    »Na gut, wo ist Hüsamettin Güzelpinar?«
    »Von dem Mann habe ich noch nie was gehört, wer soll das sein?«
    »Jetzt tu nicht so. Das ist genauso ein Asylschmarotzer wie du, der aber untergetaucht ist. Ihr Asylbetrüger kennt euch doch alle untereinander! »
    »Ich hin kein Asylbetrüger!«
    »Und ob du ein Asylbetrüger bist! Die ganze Zeit versuchst du, auf Staatskosten zu leben.«
    »Nein, der Staat lebt seit 30 Jahren auf meine Kosten. Ich habe all die Jahre meine Steuern ordentlich bezahlt. Auch diesen Solidaritätszuschlag. Obwohl ich bei der Eingliederung der DDR nicht gefragt worden bin!«

    »Seit 30 Jahren bist du als Asylant hier? Das gibt’s nicht!
    »Nicht als Asylbewerber! Als normaler Arbeiter, als Gastarbeiter. Das kann ich auch beweisen! Zum Beispiel, bei dem WM-Endspiel 74 hat Paul Breitner das erste Tor geschossen und kleines, dickes Müller das zweite Tor.«
    »War das nicht Hölzenbein mit dem ersten Tor?« fragt der dicke Polizist mit dein Bullenschnurrbart in die Runde.
    »Nein, nein, das war Rainer Bonhof!«
    »Nein, Bonhof hat die Vorlage für das zweite Tor gegeben«, korrigiere ich die Beamten. »Und Hölzenbein war der Gefoulte bei dem Elfmeter, den Breitner dann verwandelt hat. Aber elfmeterreif war das Foul an Hölzenbein damals eigentlich nicht.«
    »Doch, doch, das war ein eindeutiges Foul«, sagt der mit dem dicken Schnurrbart.
    »Also für mich liegt diese Entscheidung genauso in der Schwebe wie das Wembley-Tor von 1966«, sage ich. »War das wirklich

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