Kanaken-Gandhi
1966?«
»Na klar, 1966 im Wembley-Stadion, WM-Endspiel zwischen Deutschland und England. Deutschland mit Schnellinger, Haller, Höttges, Overath, Beckenbauer, Seeler, Held und Tilkowsky im Tor. Und der Mann mit der Mütze am Rand, das war Helmut Schön, der Bundestrainer. Sag doch mal, wer hat den entscheidenden Elfmeter bei dem EM-Finale ‚76 gegen die Tschechoslowakei verschossen?« stelle ich die Beamten erneut auf die Probe.
Alle schauen sich gegenseitig fragend an.
»Das war Heynckes«, bestimmt der Dicke mit dem
Schnurrbart.
»Heynckes war es auf gar keinen Fall«, meint der Weißblonde entschieden.
»Red nicht so einen Quatsch! Natürlich war es Heynckes!«
schreit ihn der Dicke an, wobei die Haare seines Schnauzers vor Wut zittern.
»Das wüsste ich ja wohl, wenn das Heynckes gewesen wäre.«
»Also gut, hören wir mit dem Quatsch auf! Fragen wir doch den Asylanten. War es vielleicht Müller?« fragt mich der Dritte im Bunde.
»Nein, Müller hat doch nach der WM 74 in der
Nationalmannschaft aufgehört. Der Versager mit dem verschossenen Elfmeter war Uli Hoeneß!«
»Waas, echt, der Uli? Und jetzt spielt er bei den Bayern den großen Zampano«, ruft der mit dem Schnurrbart empört, der auf diesem Fachgebiet mit Abstand der Gebildetste von allen ist.
»Mit 27 Jahren war Uli Hoeneß schon Manager bei Bayern München«, prahle ich mit meinem Wissen.
»Jetzt ist aber Feierabend. Wir sind doch nicht hier, um über Fußball zu diskutieren«, schimpft er plötzlich. Ich hätte ihn doch nicht so vor seinen Kollegen blamieren sollen.
»Genau, wer verhört hier eigentlich wen?« schreit der Weißblonde in die Runde.
»Aber meine Herren, ich wollte Ihnen doch nur beweisen, dass ich schon 30 Jahre lang in Deutschland lebe. Um mir dieses Fachwissen anzueignen, musste ich 30 Jahre lang jede Woche mit meiner Frau Eminanim harte Kämpfe um das
Fernsehprogramm ausfechten.«
»Das hat doch überhaupt nichts zu sagen, schließlich hat die ganze Welt seinerzeit diese Fußballspiele am Fernseher verfolgt.«
»In unserem Dorf im Kaukasus, aus dem ich komme, hatten die Leute damals nicht mal Radio, geschweige denn Fernseher.«
»Glaubst du Schmarotzer eigentlich wirklich, dass man dadurch Asyl schinden könnte, wenn man die Spiele der deutschen Nationalmannschaft auswendig gelernt hat? Wir kennen euch Gauner!«
»Ich will hier ja niemandem widersprechen, aber im Grunde bin ich doch nur ein ganz kleiner Gauner, warum kümmern Sie sich nicht um die wirklich großen Gangster?«
»Du hältst jetzt die Klappe und sagst das, was wir hören wollen!«
»So geht das nicht, Herr Kommissar. Eigentlich müssten Sie jetzt zu mir sagen: »Sie haben das Recht zu schweigen. Alles was Sie aussagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden! Sie haben das Recht auf einen Anwalt!« Außerdem kommen in meiner Zelle Ratten aus dem Klo.«
»Was hättest du denn gerne, was da rauskommt? Blondinen in schwarzen Strapsen? Mensch, sei froh, dass du hier bei uns im Knast bist und nicht in so einem blöden Asylantenheim. Erst gestern haben sie schon wieder eins abgefackelt. Hier bei uns bist du wenigstens in Sicherheit. »
»Draußen war ich aber trotzdem glücklicher. Ich bin doch schon so lange hier im Gefängnis. Glauben Sie, dass es bald eine General- Amnestie geben könnte?«
»Kein Problem, wenn du Amnestie haben willst, dann brauchst du nur zu gestehen, dass du ein Asylant bist. Wenn du dich auch noch bereit erklärst, freiwillig mit deiner gesamten Familie aus Deutschland zu verschwinden, dann könnten wir dich sofort laufen lassen. Mit deiner großen Sippschaft kannst du ja nicht untertauchen.«
»Aber ich bin doch gar kein Asylbewerber. Ich lass mich nicht so einfach abschieben!«
»Ganz wie du willst! Für hartnäckige Fälle haben wir unsere Spezialisten. Der Kollege kommt gleich. Manfred, bring den Typ schon in seinen Übungsraum. Rudolf kann sich ja um ihn kümmern, wenn er da ist.«
Nachtwächter Manfred und der Weißblonde führen mich raus und begleiten mich zu einem Raum am Ende des Ganges mit doppelter Tür. Ich werde auf einen Metallstuhl gesetzt, und meine Arme werden von hinten mit Handschellen angekettet.
»Tut mir leid, ich muss jetzt weg«, flüstert mir Manfred ins Ohr, »ich kann nichts mehr für dich tun. Dieser Rudolf ist ein sadistisches Schwein und Ausländern gegenüber besonders brutal. Unterschreibe das Papier einfach und lass dich nicht quälen. Spiel nicht den Helden, die kriegen dich
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