Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)

Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)

Titel: Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirstin Warschau
Vom Netzwerk:
zurückgelassen, zusammen mit ihrem früheren Leben.
    »Dann hoffe ich, dass Luise da noch wohnt«, sagte ihre Tante belustigt und suchte nach ihrem Adressbuch.

14
    E r erwachte schweißgebadet. Schon wieder hatte er diesen Traum gehabt. Er war einen Strand entlanggelaufen, auf den dunkle Wellen schlugen. Eine Woge war emporgeschwappt, hatte ihn erfasst und ins Meer gerissen. Das schwarze Wasser zog ihn unaufhaltsam in die bodenlose Tiefe hinab. Er hatte wieder angefangen, von seinem Untergang zu träumen. Bevor er sich an den Strand verirrt hatte, war Lissy da gewesen. Ihr Körper war seinem sehr nahe gekommen, die Wärme ihrer Haut, ihr Geruch nach Heu und staubiger Straße. Aber viel zu schnell hatte sich alles aufgelöst in wutrotem, bitterem Zorn. Er wollte nicht mehr daran denken, was geschehen war, nie mehr.
    Paul-Walter Tüx blinzelte und verfluchte den Denkmalschutz. Viel zu hell drang die Sonne durch die geschlossenen Vorhänge. Der Denkmalschutz und der unmögliche Geschmack seines Vaters hatten dafür gesorgt, dass die automatischen Jalousien, die es früher vor den Fenstern gegeben hatte, durch diese völlig unpraktischen Staubfänger ersetzt worden waren. Um das Schlafzimmer tagsüber einigermaßen verdunkeln zu können, waren die hässlichen Dinger aber nun einmal total ungeeignet. Sie waren über zweihundert Jahre alt, in Flandern gewebt und in Polen restauriert worden. Als das Gutshaus gebaut wurde, hatte man ein Faible für manierierte Vogel- und Pflanzendarstellungen gehabt und damit nicht nur die Vorhänge, sondern auch Tapeten und Polsterbezüge geschmückt.
    Aus dem Nebenzimmer hörte er leise Stimmen und Gekicher. Seine Cousine Grit und Marthe, deren Freundin, waren also auch schon wach. Von Tom, seinem Freund, der auf der anderen Seite im alten Ankleidezimmer schlief, war noch nichts zu vernehmen. Und Cyrano im Zimmer über dem Gang tat ebenfalls noch keinen Mucks. Vielleicht war er schon längst wieder draußen unterwegs, paddelte mit einem der Kajaks auf der Eider herum oder lief durch den Wald. Er war schon zwanzig, also zwei Jahre älter als die anderen, und hatte einfach viel mehr Energie.
    Paul-Walter drehte sich auf die Seite und schloss erneut die Augen. Die »Hütte«, wie sie ihr Sommerhaus scherzhaft zu nennen pflegten, in der er seit ein paar Jahren mit seinen Eltern die Ferien verbrachte, war bis auf ein paar Unannehmlichkeiten, die dem Alter des Hauses und den baulichen Gegebenheiten geschuldet waren, eigentlich ganz okay. Es gab genug Platz, sodass man sich aus dem Weg gehen konnte, auch und gerade, wenn Gäste da waren. Schon früh war ihm klar geworden, dass das Haus und die Umgebung viele Leute begeisterten, und eben auch seine Freunde. »Fährst du wieder ins Familienschloss?«, wurde er im Internat gefragt, wenn die Ferien näher rückten. Aber hier war es eben einfach besser als in dem langweiligen Chalet von Toms Eltern im Engadin oder dem absolut öde gelegenen Landhaus seiner Cousine Grit, draußen in den Bergen vor Vancouver. Um hierherzukommen, brauchte man außerdem nicht ewige Zeit im Flieger zu sitzen.
    Nur die Sache mit der Landwirtschaft, die bei diesem Anwesen leider dazugehörte und die seinen Vater so begeisterte, langweilte ihn vollkommen. Wenn Dad aus Frankfurt herkam, zog er sich als Erstes seine alte Cordjacke über und ging in den Stall. Dann sprach er mit seinen Pferden oder ließ gleich Dude, seinen Wallach, satteln, bevor er mit ihm über die Felder verschwand.
    Paul-Walter konnte die Leidenschaft seiner Eltern für Pferde und Landwirtschaft beim besten Willen nicht verstehen. Die einzigen Lebewesen, die ihn vielleicht noch interessierten, waren Fische. Man hatte ihn nur mühsam dazu gebracht, Reiten zu lernen. Er hatte es immer gehasst. Zu seinem siebenten Geburtstag hatten sie ihm ein Pony geschenkt. Er war so enttäuscht gewesen.
    Nun war er froh, dass Dad endlich aufgehört hatte, ihn mit dem Pferdekram zu quälen. Auch Mum ließ ihn damit in Ruhe. Für die Sommerferien ließ sie extra ihre Lieblingspferde aus ihrer Gestütsdependance im Taunus herbringen. Sie achtete immer sehr darauf, dass es den Pferden gut ging. Salzige Seeluft und würzige Weiden sind wie eine Verjüngungskur für die Tiere, pflegte sie zu sagen.
    Die Uhr im Turm des Torhauses schlug zwölf Mal. Nebenan kicherten Grit und Marthe noch immer. Das konnten Mädchen, ewig im Bett liegen, lachen und rumquatschen. Lissy hatte auch viel gelacht. Das schönste Lachen der Welt. Wieder

Weitere Kostenlose Bücher