Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
Autokennzeichen sah man, dass es sich nicht nur um Touristen, sondern vor allem um Einheimische handelte, die dort ihre Wagen beluden und das zufällige Zusammentreffen mit Bekannten zum Tratsch nutzten. Auch Island schob ihren Einkaufswagen vor sich her und wuchtete den Pappkarton mit ihren Einkäufen – eine Packung Ingwertee, fünf Gläser Würstchen und zwei Liter Grapefruitsaft – in den Kofferraum.
Gerade wollte sie den Einkaufswagen zurückschieben, da entdeckte sie ein bekanntes Gesicht. Stefanie Rubi-Tüx ging in Jeans, einer Bluse im Romantik-Look und hellen Wildlederballerinas über den Parkplatz. Ein Wolfshund trottete hinter ihr her, ein hageres, graues Tier, das sich steifbeinig zur Rückseite eines cremefarbenen Geländewagens schleppte und dort zitternd verharrte. Mit Erstaunen beobachtete Island, wie sich die Frau ans Steuer setzte, sich wenig später automatisch die Heckklappe öffnete und sich das schwere Fahrzeug wie von Geisterhand nach unten absenkte. Der altersschwache Hund kletterte hinein, und die Heckklappe schloss sich hinter ihm. Rubi-Tüx fuhr davon.
Island blickte ihr hinterher. So ein Audi Q7 war schon ein schmuckes, praktisches Wägelchen, für Polizisten wie sie aber wohl unerschwinglich.
Sie schloss ihren Mazda auf, und die Hitze schlug ihr entgegen. Die alte Gurke hatte nicht einmal eine Klimaanlage. Immerhin ließ sich das Seitenfenster herunterkurbeln, und das Radio spielte »Stumblin’ in« von Smokie, während sie die Landstraße entlangbrauste. Sie sang laut mit. Das Kind würde bestimmt viel musikalischer werden als sie selbst, aber sie konnte es ruhig schon mal mit den Klassikern der Popmusik vertraut machen. Den Tritt, den sie gegen den Bauchnabel erhielt, deutete sie als Begeisterung des Bauchbewohners für ihre Gesangseinlage.
Am Tor des Gutshofes angekommen, zog sie die Chipkarte, die Lena von Dünen ihr ausgehändigt hatte, durch das Lesegerät, das sich seitlich des linken Torpfeilers befand. Sie hatte die Vorrichtung beim ersten Mal nicht bemerkt, trotzdem hatte sich das Tor bei ihrer Ankunft geöffnet. Wo also waren die Kameras, die die Einfahrt überwachten? Sie vermutete, dass es weitere Überwachungseinrichtungen auf dem Hof gab, die sie ebenfalls nicht mit bloßem Auge erkennen konnte. Es war kein gutes Gefühl, ständig beobachtet zu werden. Wahrscheinlich auch gerade jetzt, während sie durch die Allee fuhr und die uralten Bäume bewunderte.
Mit dem Einkauf im Pappkarton kletterte sie die enge Treppe zum Zimmer hinauf. Auf der obersten Stufe lag ein Zettel in krakeliger Handschrift: »Besichtigung Gutshaus heute 16.30 Uhr.« Frau Dormann hatte wirklich eine Sauklaue.
Bis zur Besichtigung war noch etwas Zeit. Sie programmierte die Weckzeit ihres Handys auf sechzehn Uhr, legte sich aufs Bett und nahm sich die Bücher vor, die sie sich ausgeliehen hatte. Im Dehio las sie den Text über Kreihorst. Dann schaute sie nach, wie der heimische Adel kochte, wenn er denn mal am Herd stand. Und natürlich kriegte sie von den Bildern der Speisen und gedeckten Tische in alten Herrenhäusern schon wieder einen Mordshunger. Aber die Lektüre machte auch sehr müde, und nach kurzer Zeit fielen ihr die Augen zu.
Als das Handy sie um vier Uhr weckte, brachte sie ihren Kreislauf und ihre Laune auf Trab, indem sie sich mit kalten Würstchen und Grapefruitsaft stärkte. Dann machte sie sich auf den Weg zu ihrer Verabredung. Man sah schon auf den ersten Blick, dass alles auf dem Hof äußerst sorgfältig, ja geradezu mit pedantischer Detailtreue restauriert worden war. Über das holprige Kopfsteinpflaster zu schlendern war deshalb fast wie eine Zeitreise in ein vergangenes Jahrhundert. Man hätte hier sofort einen Historienfilm drehen können, ohne etwas verändern zu müssen. Höchstens ein bisschen Unrat und Unordnung hätten gefehlt, um die Kulisse perfekt zu machen. Nur die Fahrzeuge, die vor dem Gutshaus parkten, passten nicht so ganz in das historische Umfeld.
Der Q7-Geländewagen, den sie nun schon kannte, war dabei noch das bescheidenste Modell. Daneben standen ein Maybach 57 S, ein Bentley Mulsanne sowie ein klobiger roter Dodge Nitro. Eher bescheiden nahmen sich daneben die beiden englischen Minis in Türkis und Knallgrün aus, die bestimmt dem Auto fahrenden Familiennachwuchs gehörten.
Lotti Dormann stand bereits auf dem Treppenabsatz am Eingang und hielt ihren Hund auf dem Arm. Sie trug ihre Haare besonders elegant über dem Kopf aufgetürmt, dazu Sommerrock
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