Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
Auslaufen Dorina, Seacrab, Ätna.«
Sie blätterte zurück: »Freitag, 29.Juni, 0.50 Uhr, Schwarzer auf Posten, Lichter im Wasser, Einlaufen Sydney, Seapride, Anastasia.«
Was hieß »Schwarzer«? War damit womöglich Jon Theissen gemeint? Sie kratzte an einem der Mückenstiche herum, die sie sich bei ihrem nächtlichen Spaziergang am Kanal eingefangen hatte. Das war doch wohl zu abwegig, oder? Island lehnte sich in dem Cordsessel zurück und betrachtete ihren Bauch. Wenn sie ein Glas Wasser gehabt hätte, dann hätte sie den Bauch ohne Weiteres als Tisch benutzen können, so weit ragte er inzwischen hervor. Wie dick würde sie eigentlich noch werden?
Sie blätterte die Aufzeichnungen noch einmal durch. Sie begannen am 20.Juni. Und diese Schiffe waren um die festgehaltene Uhrzeit durch die Schleusen gefahren. Das ließ sich bestimmt leicht nachprüfen. Aber »Schwarzer auf Posten und Lichter im Wasser«? Warum hatte Hinrichs das festgehalten?
Plötzlich hatte sie einen unglaublichen Verdacht.
Als Olga Island an diesem Tag zum vierten Mal über die Hochbrücke fuhr, achtete sie peinlich genau auf die zugelassene Höchstgeschwindigkeit. Als das Blitzgerät trotzdem auslöste, war ihr klar, dass sie sich an das Kieler Ordnungsamt wenden musste. Sie musste wissen, ob an Tagen, an denen der ominöse »Schwarze« in Hinrichs Notizbuch auftauchte, kurz vor oder nach der festgehaltenen Uhrzeit einer der Geländewagen, die sie auf dem Gutshof gesehen hatte, geblitzt worden war. Vielleicht konnte man auf dem Film sehen, wer am Steuer gesessen hatte.
43
D er schattige Innenhof der Bezirkskriminalinspektion war an diesem frühen Nachmittag beinahe verwaist. Gerade als sie aussteigen wollte, erhielt Olga Island einen Anruf von der Polizeistation in Achterwehr.
Dorfpolizist Stark schien wie immer verschnupft.
»Gut, dass ich Sie erreiche, Frau Island. Ich habe zwei Sachen. Frau Marxen aus Groß Nordsee hat sich bei uns gemeldet. Sie wissen schon, die Frühschwimmerin.«
»Ja?«
»Sie konnte sich plötzlich doch noch an etwas erinnern.«
»Und an was?«
»Sie meint jetzt, auf dem Weg zu den Spülfeldern habe an dem Morgen ein Geländewagen gestanden. Die Farbe wusste sie nicht mehr.«
»Und wo genau soll der Wagen gestanden haben?«
»Das konnte sie wieder nicht sagen.«
»Verdammt«, fluchte Island. »Und an die Marke hat sie sich natürlich auch nicht erinnert?«
»Nein, leider nicht.«
»Dann nehmen Sie das bitte zu Protokoll. Und sie soll sich bereithalten für eine Ortsbegehung. Das könnte ihrer Erinnerung auf die Sprünge helfen.«
»Sehr wohl«, sagte er fast ein wenig untertänig.
»Noch was?«, fragte Island.
Der Allergiegeplagte räusperte sich. »Bei uns haben sich heute zwei Frauen gemeldet. Kia und Anne Börk, Islandpferdezüchterinnen aus Felde. Sie haben eine Person als vermisst gemeldet.«
»Na, endlich!«
»Was?« Starks Irritation war nicht zu überhören.
»Nun erzählen Sie schon!«
»Sie behaupten, die vermisste Henna Franzen würde bei der Kieler Mordkommission arbeiten. Sie müssten Sie also kennen.«
»Richtig, Henna Franzen ist meine Kollegin. Weiter!«
»Frau Franzen wollte wohl gestern am späten Nachmittag ausreiten. Die beiden Damen haben angenommen, ihre Freundin wäre am Abend zurückgekehrt und hätte das Pferd selbst auf die Koppel gebracht. Allerdings war das Pferd heute Morgen nicht auf der Weide, und Sattel und Zaumzeug haben gefehlt. Die beiden konnten ihre Freundin telefonisch nicht erreichen. Und jetzt befürchten sie, dass Pferd und Reiterin etwas zugestoßen sein könnte.«
»Die Adresse, bitte!«
Stark diktierte ihr Adresse und Telefonnummer von Kia und Anne Börk, dann legte sie auf.
Wenig später quälte sich Olga Island die Treppe hinauf in ihr Büro. Dort roch es ungelüftet, und sie riss das Fenster auf. Auf ihrem Schreibtisch stapelten sich Aktenmappen. Obenauf lag ein weißer Büttenumschlag. Die Hochzeitseinladung von Henna Franzen und Swantje Propst. Wie alt war Henna jetzt eigentlich? Fünfundzwanzig. Musste man da unbedingt schon heiraten?
Island dachte an all die Hochzeiten, auf denen sie gewesen war. Vom bescheidenen Hochzeitspicknick im kleinen Kreis bis zum rauschenden Fest. Wie viele verheiratete Paare in ihrem Umfeld waren heute überhaupt noch zusammen? Man konnte sie an einer Hand abzählen. Und sie selbst? Wäre sie überhaupt je zum Heiraten bereit? Konnte sie sich vorstellen, mit Lorenz vor den Traualtar zu treten? War er dafür der
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