Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
gefunden.«
Island nahm die Notfallbox und wandte sich zum Gehen.
»Rufen Sie mich bitte an, sobald Sie etwas hören!«
Auf der Fahrt über die Holtenauer Hochbrücke fuhr Island zu schnell. Das Blitzgerät am Fahrbahnrand war weder getarnt noch zu übersehen und machte, hinterhältig wie es nun einmal war, eine Aufnahme. Sie fluchte. Schon bei der Hinfahrt nach Friedrichsort war sie mitten auf der Brücke geblitzt worden. Während sie weiterfuhr, warf sie einen Blick durch das Brückengeländer hindurch auf den Kanal. Die Aufbauten eines Passagierschiffes konnte sie erkennen, ansonsten nur Wasser und das weite Land.
Den Kieler Ortsteil Holtenau jenseits der Brücke konnte sie von hier aus nicht sehen. Holtenau, ging es ihr durch den Kopf, Holtenau. Der tote Rentner am Kanal. Frühmorgens hatte man ihn tot auf einer Bank gefunden, ein kleines Fernglas in der Hand. Seine Pflegerin hatte von den Aufzeichnungen erzählt, die er regelmäßig gemacht hatte. Sie hatte sich die Kladde nur flüchtig angesehen, als Dutzen sie bei der Teambesprechung herumgereicht hatte. Das Gekrakel war nicht besonders aufschlussreich gewesen. Trotzdem musste sie immer wieder daran denken. Schiffe und Uhrzeiten hatte der Rentner notiert. Aber warum?
Als sie durch den Tunnel von Projensdorf brauste, hielt sie die Luft an und sang einen Ton. Das hatte sie als Kind immer gemacht, wenn sie mit Thea während der Kieler Woche nach Schilksee zum Segelschiffegucken gefahren war. Jetzt fiel ihr dieses Spiel wieder ein. Aber ihre Puste reichte lange nicht mehr bis zum Tunnelausgang, sie schnappte schon vorher gehörig nach Luft. Auf der anderen Seite des Tunnels betätigte sie die Freisprechanlage.
Jan Dutzen meldete sich sofort.
»Ganz kurze Frage«, sagte Island. »Erinnerst du dich noch an den Rentner aus Holtenau?«
»Hab ich Alzheimer, oder was?«
»Dann kannst du mir sicher sagen, wo die Kladde ist, die du bei der Teambesprechung dabeihattest.«
»Welche Kladde?«
»Na, dieses Spiralheft. Der Mann hatte doch irgendwelche Sachen aufgeschrieben, mit denen wir nichts anfangen konnten.«
»Ach so, das Heft mit den Schiffsnamen oder so. Das hab ich in seine Wohnung zurückgebracht und wieder auf die Fensterbank gelegt, wo ich es gefunden hatte. War ja sein Eigentum. Die Erben werden sicher alles schon ausgeräumt haben.«
»Er hatte keine Erben.«
»Wie traurig. Was willst du denn mit dem Heft?«
»Mir ist gerade etwas durch den Kopf gegangen. Wer hat einen Schlüssel zur Wohnung von Hinrichs?«
»Die Nachbarn müssten einen haben.«
An der nächsten Kreuzung wendete sie den Wagen und fuhr zurück. Zum dritten Mal an diesem Tag überquerte sie die Holtenauer Hochbrücke. Wenig später hielt sie vor dem Haus in der Kanalstraße. Die Eingangstür war fest verschlossen. Sie klingelte bei Schmirgel, und als sich dort nichts tat, bei Möller. Es dauerte ein paar Minuten, dann kam mit schlurrenden Schritten jemand die Treppe herunter. Die Tür öffnete sich, und sie schaute in das fragende Gesicht eines verschlafenen jungen Mannes.
»Guten Tag, ich bin von der Kripo«, erklärte Island und zeigte ihren Ausweis. »Ich würde gern noch einmal einen Blick in die Wohnung von Herrn Hinrichs werfen. Wissen Sie, wer den Schlüssel hat?«
»Ich«, sagte der junge Mann. »Die Schmirgels haben gesagt, ich kann mir ein paar Sachen von Hinrichs nehmen, der Rest kommt sowieso auf den Müll.«
»Wären Sie dann so freundlich und würden mich reinlassen?«
»Was suchen Sie denn?«
»Ein Notizheft.«
Der junge Mann stutzte. »Stimmt denn was nicht?«
»Doch, aber würden Sie mich trotzdem bitte noch mal in die Wohnung lassen?«
Er bat sie, vor Hinrichs Wohnung im ersten Stock zu warten, und schlurfte nach oben. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam er zurück und überreichte ihr den Schlüssel.
In der Wohnung des Rentners roch es nach Medizin und Rheumasalbe. Die Blumen im Erker waren vertrocknet, und die Blätter der Pflanze raschelten, als Island das Spiralheft hervorzog. Sie legte es auf den Tisch und schlug es auf.
Die zittrige Handschrift war trotz allem gut lesbar. »Sonntag, 1.Juli«, las Island, »0.45 Uhr. Keine Vorkommnisse.«
Sie blätterte zurück.
»Samstag, 30.Juni, 0.30 Uhr. Schwarzer kommt die Straße entlang, steht am Ufer, Lichter im Kanal, kreisende Bewegung, Kronos II läuft in die Schleuse ein, dahinter: Beluga.« Die nächste Notiz lautete: »Samstag, 30.Juni, 1.17 Uhr. Schwarzer steht auf Posten, keine Lichter im Kanal,
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