Kanalfeuer: Ein Fall für Olga Island (German Edition)
Richtige?
Sie setzte sich an ihren Arbeitsplatz und griff zum Telefon. Kia Börk war sofort am Apparat.
»Henna ist gestern Abend um halb sechs Uhr mit unserem Wallach Ricky los. Sie ist eine gute Reiterin, deshalb hatte ich gar keine Bedenken. Es muss den beiden was passiert sein. Ricky findet den Weg nach Hause, auch ohne Reiter.«
»Wenn das Pferd oder die Reiterin bei Ihnen auftaucht, melden Sie sich bitte sofort.«
»Ja, klar!«
Island gab ihre Kontaktdaten durch und legte auf.
Da klopfte es. Jan Dutzen lehnte lässig im Türrahmen. »Hey, Miss Marple, du hier und nicht in Holtenau?«
»Ja, stell dir vor.«
»Was machst du gerade?«
»Arbeiten, was sonst?«
»Dienstbesprechung ist um zwei, falls es dich interessiert. Aber du arbeitest ja nicht mehr so gerne im Team, sondern bist lieber auf eigene Faust unterwegs.«
Sie zog eine Grimasse. »Ist die Suche auf der Spülfläche am Flemhuder See angelaufen?«
»Das wollte ich dir eigentlich schon vorhin am Telefon sagen«, antwortete Dutzen und knetete sein Ohrläppchen. »Bruns war dagegen.«
»Was?« Island sprang auf, dass ihr Bauch wippte.
Aber Dutzen versperrte ihr den Weg. »Er meinte, du kannst nicht im Urlaub sein und gleichzeitig eine Hundertschaft anfordern lassen. Die haben auch noch andere Sachen zu tun.«
»Und dann wird einfach nicht gesucht, oder was?«
»Bruns fand es noch nicht dringend.«
»Verdammt noch mal«, fluchte Island.
Sie schob sich an Dutzen vorbei auf den Flur und bollerte mit der Faust an Bruns’ Tür.
44
T horalf Bruns saß vor seinem Bildschirm und tippte im Zweifingersystem an einem Text. Er blickte nicht einmal auf, als sie ins Zimmer kam. Sie ließ sich auf einen der Besucherstühle plumpsen und schnaufte vernehmlich.
»Wir müssen Franzen suchen«, sagte sie eindringlich.
»Warum?«
»Sie ist gestern Abend gegen halb sechs zu einem Ausritt über die Spülfelder am Flemhuder See aufgebrochen und nicht wieder zurückgekehrt.«
Bruns tippte in aller Seelenruhe weiter. »Was du oder Frau Franzen in eurer Freizeit macht, interessiert mich nicht«, entgegnete er.
Island starrte ihren Chef an, der sich weiterhin nur mit seinem Bildschirm beschäftigte.
»Henna fahndet nach der wichtigen Zeugin Lissy Heinke, dem Pferdemädchen von Kreihorst.«
»Und, hat den Alleingang jemand angeordnet?«, fragte er und warf ihr über den Rand seiner Lesebrille einen missbilligenden Blick zu.
»Es erschien uns beiden sinnvoll«, sagte Island.
Thoralf Bruns schüttelte den Kopf. »Ach ja? Olga Island, was ich in der letzten Woche von dir gehört habe, ist alles andere als professionelle Polizeiarbeit. Es reicht. Ich habe dich nur deshalb noch nicht zurückgepfiffen, weil du ja sowieso bald eine Pause machst. Ansonsten wäre schon längst Schluss damit.«
Island setzte sich noch etwas breitbeiniger auf dem Stuhl zurecht und nickte so gelassen wie möglich.
»Vielleicht hast du recht«, sagte sie ruhig. »Aber Henna Franzen braucht Insulin, und zwar dringend.«
Bruns hob erstaunt die buschigen Augenbrauen. Das Fenster seines Dienstzimmers war gekippt. Draußen auf dem Parkplatz stritten sich zwei Autofahrerinnen lauthals und wütend.
»So?«, fragte er. »Braucht sie das?«
»Weißt du denn gar nicht, dass sie an Diabetes leidet?«
Bruns nahm seine Brille ab und legte sie neben die Tastatur. »Nein«, sagte er gedehnt. »Das wusste ich nicht.«
Eine Fliege umkreiste summend die hässliche runde Deckenlampe. Island war bewusst, dass sie gerade ein Versprechen brach. Im vergangenen Herbst, als Henna noch Polizeianwärterin gewesen war, hatte sie auf einer Dienstfahrt einmal einen Zusammenbruch erlitten, der mit ihrer Stoffwechselkrankheit im Zusammenhang stand. Die junge Polizistin hatte Island damals inständig angefleht, niemandem im Dienst von ihrer Erkrankung zu erzählen, denn sie befürchtete nicht ohne Grund, mit dieser Krankheit nicht in den Polizeidienst übernommen zu werden. Und Island hatte geschwiegen. Bis jetzt.
»Wenn das so ist«, sagte Bruns und beugte sich vor, »dann müssen wir schleunigst was unternehmen.«
Gegen Mittag zeigte das Thermometer in Islands Zimmer siebenundzwanzig Grad Celsius an. Der Himmel hatte sich mittlerweile vollkommen zugezogen, während ein warmer, feuchter Wind durch die noch immer aufgeheizten Straßen Kiels fegte.
Die Dienstbesprechung im sogenannten »Oval Office«, dem Raum mit dem großen ovalen Tisch, begann um kurz nach zwei. Mit dabei waren einige Mitarbeiter des K 11
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