Kann denn Fado fade sein?
Nacht auf den Straßen in Lissabon los ist. Als wir von Grândola aus über die Ponte Vasco da Gama nach Lissabon zurückfahren, stehen wir praktisch unaufhörlich im Stau. Die Stadtautobahn – normalerweise drei- oder vierspurig – ist so gut wie zugeparkt. Nur in der Mitte ist eine schmale Spur gerade noch befahrbar, auf der wir entlangkriechen.
Zehntausende haben ihre Autos einfach abgestellt und wandern in Richtung Estádio da Luz , dem Heimstadion von Benfica. Das Präsidium hat beschlossen: »Wir öffnen das Stadion für die Fans. Wir wollen alle gemeinsam feiern!« Überall jubelnde Menschen. Die Polizei ist präsent, greift aber nicht ein, freut sich mit, strahlt mit den Fußballfreunden um die Wette. Auf den Plätzen in Lissabon geht nichts mehr: Überall wird gesungen, gelacht, gefeiert, getanzt. Überall sieht man nur die Farbe Rot. Rote Fahnen, rote Hemden, rote Schals, geschminkte rote Gesichter. So manches Standbild wird ebenfalls rot verziert.
Kleine Notiz am Rande:
Nicht ohne Grund ist Benfica so beliebt. Der Verein war unter der Herrschaft von Salazar zwar nicht verboten – das hat sich nicht mal der Diktator erlaubt.
»Das Stadtviertel Benfica in Lissabon, wo der Sportverein herkommt, ist jedoch traditionsgemäß ein Arbeiterviertel«, sagt António.
»Wer auf sich hielt, unterstützte also nicht ›die Grünen‹, den Verein Sporting Lissabon, sondern war Anhänger der ›Roten‹?«
»Genau«, antwortet António. »Und noch etwas kommt hinzu: Für Salazar war Benfica im wahrsten Sinne des Wortes ein ›rotes Tuch‹. Denn die Vereinsfarbe ist dieselbe wie die der Kommunisten, die Vereinshymne beginnt mit demselben Wort wie der kommunistische Aufruf an das Proletariat aller Länder, nämlich mit ›avante!‹ – Vorwärts!« Fußball war aber erwünscht, um das Volk ruhig zu halten. Selbst wenn die Fußballlieder, die während der Diktatur im Stadion gesungen wurden, oft auch eine zweite Bedeutung hatten – nämlich die von Freiheit, Aufbruch – und damit gegen die Diktatur gewandt waren.
»Für viele Menschen verbindet sich all das heute noch mit dem Verein«, fährt António fort, »und genau deshalb ist Benfica auf der ganzen Welt, überall wo Portugiesen sind, die Nummer eins.«
Für eine Strecke, die wir normalerweise in einer Stunde fahren, brauchen wir vier Stunden. Stop-and-go.
Wir hören im Autoradio, dass die Mannschaft gegen zwei Uhr nachts erwartet wird, denn der Sieg wurde auswärts erspielt. Wir erfahren, dass selbst am Flughafen von Porto, wo die Mannschaft Benficas in den Flieger steigen will, kein Durchkommen ist. Auch in der Stadt des erbittertsten Gegners: jubelnde benfiquistas .
Es wird vier Uhr morgens, bis die Spieler endlich ins Flugzeug steigen, eine gute Stunde später erreichen sie den Flughafen Lissabon. Die Fahrt im offenen Bus bis ins Stadion ist ein Freudenfest. Es müssen Hunderttausende auf der Straße sein.
Selbstverständlich ist am nächsten Tag, einem Montag, im ganzen Land ein Feiertag. Wer wirklich arbeiten muss, hat nur ein einziges Thema: Benfica ist Meister. Endlich wieder!
Selbst in den entlegensten Flecken auf der Welt wird gefeiert. Benfica ist der größte Sportverein der Welt – mit Fans in den ehemaligen Kolonien, in Afrika, Südamerika, Indien und China. Es ist schwer vorstellbar, aber ich sehe die Bilder im Fernsehen: Selbst dort wird gejubelt, weil »die Roten« nach elf Jahren wieder Meister sind.
Kapitel 8
Coruche & Corrida
Ribatejo – das ist der nordöstlich von Portugals Hauptstadt gelegene »Garten Lissabons«. Kleine Bauern gibt es ebenso wie reiche Großgrundbesitzer, in der Gegend gedeihen Reis und Weizen, Gemüse, Obst und Wein, Feigen und Oliven. Der Name bedeutet etwa »oberhalb des Tejo«, und hier liegt das kleine Städtchen Coruche, an einem Nebenfluss des großen Stroms, am Rio Sorraia .
Hier ist das Land, in dem man besonders viele aficionados findet. So heißen die Enthusiasten der tourada , des portugiesischen Stierkampfs. Ganz in der Nähe liegt die Distrikthauptstadt Santarém,wo die größte praça de touros in Portugal zu finden ist: eine Arena mit mehr als 13000 Plätzen. Selbst das kleine Coruche kann noch mit knapp 7000 Sitzplätzen aufwarten. Mit anderen Worten: Um den Stierkampf kommt man hier nicht herum. Die Menschen leben von klein auf mit dieser Tradition.
Aus dieser Gegend stammt mein António. Wie für fast alle hier ist auch für ihn eine tourada eine völlig normale Angelegenheit, die zu
Weitere Kostenlose Bücher