Kann denn Fado fade sein?
Portugal gehört wie Fado und saudade , wie Wein und bacalhau , wie Fußball und der Atlantik.
Kleine Notiz am Rande:
Ich bin skeptisch. »Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust«: Darin bin ich mir sozusagen mit Goethes »Faust« einig. Einerseits sind da der Tierschutz und die Ansicht: »Wie kann man nur den armen Stier so quälen?« Andererseits ist der Stierkampf eine jahrhundertelange Tradition. Außerdem wird der Stier in Portugal nicht wie in Spanien in der Arena getötet. Er darf durchaus überleben und wird dann für die Zucht verwendet. Und darüber hinaus möchte ich nicht einfach etwas ablehnen und verurteilen, ohne es selbst erlebt zu haben. Darum habe ich beschlossen: »Ich schau mir das mal an!« Noch dazu, wo ich mit António einen echten Fachmann an meiner Seite habe: Er war knapp fünfzigmal selbst als forcado in der Arena – und er kennt natürlich jeden in Coruche, der mit Stieren und Stierkampf zu tun hat. Er erklärt mir mit Freuden, was da eigentlich passiert. Zum Beispiel, dass der Bulle nicht ernsthaft verletzt wird, denn der Stich in die Fettschicht am Nacken entspricht einem Nadelstich auf eine unempfindliche Hautstelle eines Menschen.
Im Ribatejo findet man in fast jeder Gemeinde eine Stierkampfarena. Corridas finden aber auch im Alentejo statt oder in der Beira litoral – also zum Beispiel im Küstenort Nazaré – und sogar an der Algarve. Insgesamt gibt es knapp achtzig praças de touros in Portugal, und sie sind alle gut besucht.
Antónios Mutter hat uns eingeladen: Im August gibt es in Coruche die festas-da-vila, das Stadtfest. Weil ihr Sohn seit vielen Jahren keine Gelegenheit mehr hatte, hier mit Freunden und Bekannten zu feiern, nehmen wir die Einladung von Dona Deolindabereitwillig an. António hat sich extra einen Tag freigenommen. Nicht ganz uneigennützig: Einerseits möchte er mir gern seine Heimat zeigen. Andererseits freut er sich darauf, bei den festas-da-vila alte Erinnerungen aufzufrischen. Ein Grund mehr, heute gemeinsam nach Coruche zu fahren.
Ein brütend heißer Sommertag. Dona Deolinda lädt uns natürlich zum Mittagessen ein. Ich bin zum ersten Mal bei der Mutter meines Liebsten, weiß aber zumindest schon aus dem Sprachunterricht: immer höflich sein, nicht gleich duzen, Respekt und Ehrerbietung zeigen. Nicht weil Dona Deolinda das verlangt, sondern weil das der normale Umgangston zwischen Portugiesen ist, insbesondere zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern. Ein bisschen Bammel habe ich, aber ich denke auch: »Wird schon alles gut gehen!«
António kurvt rasant-portugiesisch durch enge Gässchen und dann in die Seitenstraße neben einer Kirche. Die Häuser hier sehen fast aus wie die Nebengebäude eines Klosters. Hier also wohnt seine Mutter? Da sind doch nur winzige Häuschen? Auf einer Straßenseite eine Reihe von vier, fünf Eingängen, alles ebenerdig, keine Fenster zur Straße hin. Ein paar Katzen schleichen zwischen den geparkten Autos umher. António parkt ein, hupt kurz. Stellt den Motor ab, und wir steigen aus. Schon kommt eine kleine, schwarz gekleidete Frau mit ausgebreiteten Armen aus einem der Häuser geeilt: Endlich, Dona Deolinda hat ihren António wieder. Ihren einzigen Sohn, den sie lange nicht gesehen hat.
Das Häuschen selbst ist ein Schock für mich. Selbst wenn ich weiß, dass Dona Deolinda sich hier wohlfühlt, dass sie im Monat nur 30 Euro Miete bezahlt, dass sie seit Jahrzehnten hier lebt und mit ihrem Mann hier glücklich war: Ich kann mir nicht vorstellen, hier auch nur ein paar Tage zu verbringen. Alles so klein, so dunkel, so ungewohnt.
Dona Deolinda geht voran: ein schmaler dunkler und langer Korridor. Links liegen aneinandergereiht alle drei Räume. Gleich am Eingang ihr Schlafzimmer. Ein wuchtiges Doppelbett, dunkle Möbel, Licht kommt nur durch ein winziges Fensterchen in der Haustür. Selbstverständlich ist alles perfekt aufgeräumt. Viel Nippes. Eine Menge Familienfotos, Andenken an Antónios Schulzeit und die Auftritte in der Arena, Souvenirs von seinen Reisen. Erinnerungen an die »guten alten Zeiten«. Aber auch an die schlechten: Antónios Vater ist schon lange tot; er war Kommunist und während der Diktatur Salazars nicht nur einmal im Gefängnis. Er wurde genau einen Tag nach der Nelkenrevolution, am 26. April 1974, entlassen, hat die Freiheit aber nicht lange erleben dürfen, sondern starb nach wenigen Jahren an den Folgen von Haft und Misshandlungen im Kerker.
Das Wohnzimmer ist der nächste Raum.
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