Kann denn Fado fade sein?
Ebenfalls ohne Fenster. Auch hier: kein Stäubchen, alles wohlgeordnet, voll mit Möbeln und Truhen, in denen Dona Deolinda die Aussteuer für Antónios Tochter sammelt und aufbewahrt: wunderschön gestickte Decken, geklöppelte Spitzen, Glas, Porzellan. Sogar noch ungeöffnete Flaschen bagaço aus der Bar, die Antónios Vater einst hatte und die sie weitergeführt hat, wenn er wieder mal wegen kommunistischer Umtriebe verhaftet wurde. Alles hat sie aufgehoben, nichts weggeworfen, man könnte es ja noch brauchen.
»Darf es ein Schlückchen Schnaps nach dem Essen sein?« Vielleicht möchten António und ich ja auch einen café com cheirinho , da kommt der bagaço dann endlich zu Ehren …
Direkt daneben: Antónios ehemaliges Kinderzimmer, hier übernachtet seine Tocher hin und wieder, wenn sie die avó besucht. Hier gibt es endlich ein Fenster, aber es öffnet sich nicht nach draußen, sondern auf den nächsten Raum, die Küche. Zudem kommt ein bisschen frische Luft herein, denn es gibt eine Tür, die in den winzigen Patio führt.
Die Küche ist, das merkt man sofort, der Lebensmittelpunkt von Dona Deolinda. Fernseher und ein einigermaßen bequemer Sessel, mit Fußbank. Ein Gasöfchen für kalte Wintertage – es kann nämlich sehr kalt werden im Landesinnern, in Coruche. Hier steht der bereits für unser almoço gedeckte Tisch. Es gibt keinen Wein, sondern süßen, künstlich nach Erdbeere schmeckenden Saft, den Dona Deolinda aus einem Tütchen im Wasserkrug anrührt. Eine geblümte Plastiktischdecke, einfachstes Geschirr und Besteck, dünne Papierservietten. Nichts passt richtig zusammen – aber sie ist trotzdem stolz darauf.
Der Gasherd ist unter einem offenen Kaminabzug, Dona Deolinda kommt nur dann an die Töpfe und Pfannen, wenn sie auf einen Schemel steigt. Nicht nur weil sie sehr klein ist, sondern weil der Herd einfach ein Notbehelf ist: Früher gab es hier eine offene Feuerstelle, über der man das Essen zubereitet hat. António kennt das noch aus seiner Kindheit und Jugendzeit.
Spülbecken? Fehlanzeige. Heißes Wasser in der Küche? Ebenfalls Fehlanzeige. Irgendwelche Geräte, wie wir sie in unserer Wohnung und aus Deutschland kennen? Nur ein paar wenige. Ein Kühlschrank, klar. Im Patio, aber erst seit Kurzem, eine elektrische Waschmaschine. Das war’s.
Ein Bad gibt es mittlerweile auch, wie António mir zeigt, und da kommt zum Glück heißes Wasser aus dem Durchlauferhitzer. Und glücklicherweise gibt es eine Toilette.
Ein paar Pflanzen stehen im Patio, Koriander natürlich, und das eine oder andere Vorratsregal. Vollgestopft mit allem Möglichen: Reis und Gewürzen, Knoblauchzöpfen und Zwiebeln, ein Fässchen selbst marinierter Oliven. Piri-Piri legt Dona Deolinda ebenfalls selbst in Öl ein.
In diesem kleinen Innenhof wäscht sieauch: Das Geschirr spült sie mit kaltem Wasser ab; für ihre Kleidung, für Handtücher und Bettwäsche hat sie zwar seit ein paar Jahren eine Waschmaschine, aber eigentlich geht sie lieber ins Waschhaus, denn da trifft sie Nachbarinnen und Bekannte, da tauscht man sich aus über den neuesten Klatsch im Städtchen.
Alles ist sauber. Peinlichst sauber. Kein Stäubchen, kein Fitzelchen Schmutz. Aber: Alles kommt mir sehr ärmlich vor.
Ich weiß, ich bin verwöhnt vom reichen Leben in Deutschland. Ich kannte noch das Haus meiner Großeltern: Da gab es keinen Luxus, anfangs kein Bad, auch wir Kinder wuschen uns in der Zinkwanne. Es gab keine Zentralheizung, wir halfen Opa, die Kohlen aus dem Keller zu holen und die Öfen jeden Morgen anzuheizen. Wenn Oma abspülte, musste sie erst Wasser aufkochen, und wenn großer Waschtag war, stand sie stundenlang in der Waschküche und leistete körperliche Schwerstarbeit, bis man sich endlich eine Waschmaschine leisten konnte. Aber das ist Jahrzehnte her. Heute kann ich mir so etwas beim besten Willen nicht mehr vorstellen.
Es liegt auch nicht an Portugal. Denn António und ich leben hier gut, wir können uns vieles leisten. Wir sind nicht reich – aber so wie seine Mutter leben? Ich könnte es nicht.
Ich bewundere die alte Frau, die genügsam ist, sich sichtlich wohlfühlt und unbändig freut, dass ihr Sohn zu Besuch gekommen ist. Sie hat seine Lieblingsspeise gekocht und nimmt mich mit offenen Armen auf. Sie bemüht sich, mich mit einzubeziehen, spricht extrem langsam, damit ich etwas verstehe.
Ich bin herzlich aufgenommen, und ihre Gastfreundschaft kennt keine Grenzen: Als Nachtisch holt sie schnell von der Nachbarin ein
Weitere Kostenlose Bücher