Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
alle Blicke auf ihn gerichtet. »Na ja, wenn du diese Situation nutzt, um denen vom Magazin zu zeigen, was in dir steckt und was für ein Gewinn du für die bist … Mach dich unentbehrlich, werde zur Redaktionsdroge. Während deiner Zeit als Putzfrau fixt du sie an, machst sie abhängig von dir, und dann, WAAAM – stellst du sie vor ein Ultimatum: Entweder du entziehst ihnen ihre Droge, oder sie müssen für ihr Wundermittelchen namens Victoria eine nette kleine Stelle in ihrer gemütlichen Runde springen lassen.«
Ich lasse mir das eben Gehörte durch den Kopf gehen, und auch nach der zweiten Runde durch die engen Kurven meiner Gehirnwindungen verliert Stephans Vorschlag nichts von seiner Genialität.
»Und was, wenn Vickys Spielchen auffliegt?«, gibt Andy zu bedenken. »Wenn sie jemand erwischt? Dann hat sie gar keinen Job mehr, weder als Putzfrau noch als Redakteurin – und noch dazu werden die dafür sorgen, dass sie in ihrer Traumbranche auch in Zukunft keinen Fuß mehr auf den Boden bekommt.«
»Ich glaube nicht, dass sich Vicky so leicht erwischen lassen würde«, widerspricht Stephan.
»Ach nein?«, frage ich überrascht.
»Nein«, stimmt Jan zu. »Jemand, der schon als Achtjährige monatelang von allen Erwachsenen unbemerkt krumme Dinger in der Schule drehte, der wird mit so was spielend fertig.«
»Vicky hat krumme Dinger gedreht? Mit acht Jahren?«, fragt Andy ungläubig.
»Wundert dich das?«, lacht Stephan. »Du kennst unsere Vicky doch schon so lange!«
»Nein, eigentlich nicht«, gibt Andy zu. »Aber ich weiß von der Geschichte gar nichts. Lass mal hören!«
»Also …«, will Jan zu einer Erklärung ansetzen, aber ich lege ihm schnell meine Hand auf den Mund.
»Psst! Nicht verraten!«, flehe ich ihn an. »Das ist so peinlich!«
Unter meiner Hand kann ich spüren, wie sich Jans Mund zu einem amüsierten Grinsen verzieht, und seine Bartstoppeln kratzen dabei leicht über meine Handfläche.
»Ach, Victoria war einfach nur eine prima Geschäftsfrau in der Grundschule. Nicht wahr?« Stephan genießt es sichtlich, mich in eine unangenehme Situation zu bringen. War ja klar, dass mein Titten- und Hintern-Spruch von vorhin nicht ohne Retourkutsche davonkommt.
»Ach ja?« Andy ist ganz Ohr.
»Ja. Vicky hat nämlich während ihrer Kindheit mit ihrer Familie in einem kleinen Vorort von München, sozusagen einem Bauernkaff, gewohnt, wo es auch Pferde und Ponys gab. Eine nette ländliche Idylle eben.« Genüsslich streckt Stephan seine langen Beine von sich, bevor er weitererzählt. »Und überall standen diese süßen Ponys herum, und wie jeder weiß, sind alle achtjährigen Mädchen verrückt nach diesen Viechern. Dann kam unsere kleine Freundin hier auf die tolle Idee, sich mit der weiblichen Pferdeaffinität das Taschengeld aufzubessern.«
»Vicky hat fremde Pferde verkauft?«, fragt Andreas fassungslos, und sein Blick wandert ungläubig zu mir.
»Neeeeein …« Stephan schüttelt heftig den Kopf, und ich spüre, dass Jan neben mir verzweifelt versucht, ein Lachen zu unterdrücken. Ich werfe Stephan einen flehenden Blick zu, doch es ist zu spät. »… sie hat sie vermietet!«
Ich kapituliere und lasse meine Hand von Jans Mund sinken, während er und die beiden anderen Jungs zeitgleich in dröhnendes Gelächter ausbrechen.
Dann blickt mich Andy japsend an: »Wie hast du das denn gemacht?« Also, wenn Lachen wirklich das Leben verlängert, dann hat Andy allein heute drei Jahre dazugewonnen.
Ich richte mich auf – es ist ohnehin zu spät, um dieses peinliche Kapitel meines Lebens noch zu verbergen. Zumindest würde ich nun tapfer und ohne mich zu schämen untergehen. »Das war eigentlich ganz einfach: Ich habe den anderen Kindern in meiner Klasse erzählt, die Pferde würden mir gehören, und jedes Mädchen, das mir wöchentlich 50 Pfennig bezahlte, durfte sich ein Pony aussuchen und es regelmäßig besuchen. Liquidität vorausgesetzt!«, erkläre ich gefasst.
Stephan prustet wieder los. »Und das hat funktioniert?«
»Ja, richtig lange sogar. Weder die Lehrer noch die Eltern haben etwas davon mitbekommen, bis ich einem Kind irgendwann eine Mahnung nach Hause geschrieben habe, weil das Mädchen in der Schule seine 50 Pfennig nicht dabeihatte. Den Brief haben dann leider die Eltern in die Hände bekommen, und ab da war’s mit meinen Geschäften vorbei …« Als nun eine neue Lachsalve abgefeuert wird, muss ich selbst ein wenig grinsen.
»Also unter diesen Umständen mache ich mir
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