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Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)

Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)

Titel: Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Wolf
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starre ehrfürchtig auf das Cover der Stunning Looks, welche vor mir auf dem Tisch liegt. Ich atme tief durch und schlage die erste Seite auf. Das Konterfei von Evelyn Kern blickt mir entgegen. Auf dem Bild hat sie die Arme verschränkt und lächelt, aber ihr Lächeln kommt nicht aus tiefstem Herzen, sondern ist das eines Profis. Ihre rabenschwarzen Haare sind kinnlang und so glatt, als hätte der Friseur beim Styling ein Lineal angelegt. Wie ein Seidentuch schmiegen sie sich an ihren Kopf, ihr kirschroter Lippenstift leuchtet mir entgegen und die dunklen Augen blitzen gefährlich. Ihr Blick ist bestimmend, sie weiß genau, was sie will und was sie kann. Evelyn Kern strahlt pure Macht aus. Es muss mehr als unangenehm sein, vor dieser Frau einen Fehler oder gar das eigene Versagen zugeben zu müssen. Plötzlich kann ich die Verzweiflung der jungen Redakteurin verstehen, die händeringend nach einer Idee für ihre Kolumne gesucht hatte. Ihr Gesicht spiegelte gestern nicht nur Müdigkeit wider, sondern auch Furcht vor den möglichen Folgen ihres Scheiterns …
    Ich blättere weiter, betrachte die Modestrecken, lese mich durch die Beautytipps und überfliege die Rezensionen neuester Bücher und Filme. Irgendwo muss doch diese Kolumne sein! Vielleicht wurde sie ja ganz aus dem Programm genommen, nachdem die Redakteurin nichts zustande gebracht hat? Ich blättere zurück zum Inhaltsverzeichnis und lasse meinen Blick über die verschiedenen Themen gleiten. Und dann finde ich eine mir bekannte Headline: »Unsere neue Rubrik: ›Papergirl findet, dass … Cellulite völlig überbewertet wird‹.«
    Cellulite? Was für ein Zufall! Ich hatte genau die gleiche Idee, als ich mich verbotenerweise an jenen verführerischen Schreibtisch gesetzt und wie in Trance eine Kolumne verfasst hatte … Ich blättere schnell zu der angegebenen Seite.
    Und dann schlägt mir mein Herz bis zum Hals, das Blut rauscht in meinen Ohren, und in meinen Augenwinkeln beginnt es zu flimmern. Das ist mein Text! Haargenau, Wort für Wort, mein Text, so wie ich ihn während eines Anfalls purer Spinnerei auf den Bildschirm der Redakteurin gezaubert hatte! Aber das konnte doch nicht sein!? Ich hatte das Dokument ganz klar geschlossen, ohne zu speichern – arrivederci, liebe Kolumne!
    Meine Gedanken rasen, ich versuche mich zu erinnern. Komm, Vicky, denk nach! Ich lasse das Magazin auf den Tisch sinken und massiere hektisch meine Schläfen, denn hinter meiner Stirn beginnt es schmerzhaft zu pochen. Wo zum Teufel haben die meinen Text her? Verzweifelt greife ich nach meinem Handy.
    »Nina?«, kreische ich, kaum dass am anderen Ende abgehoben wird. »Notfall! Café Jasmin, komm bitte so schnell wie möglich!«
    »Äh … alles … klar«, stottert Nina verwirrt und legt auf.
    In der Zwischenzeit winke ich hektisch der Bedienung, bei der ich vor lauter Aufregung ein großes Stück Schwarzwälder und einen zweiten Cappuccino ordere. Nur mit Zucker und Koffein kann ich den Schock verdauen, dass mein Artikel gedruckt wurde! Träume ich das Ganze nur? Kann mich mal bitte jemand zwicken? Oder will mich irgendwer verarschen? Ja, bestimmt, so muss es sein! Bestimmt sitzt Andy im Hinterzimmer des Cafés und lacht sich ins Fäustchen – der erlaubt sich regelmäßig Späßchen mit mir, dafür ist ihm nichts zu teuer oder zu aufwändig. Wenn ich den in die Finger kriege, dann …
    Die Bedienung stellt einen Teller mit Torte und eine dampfende Tasse vor mir ab und betrachtet mich besorgt. »Ist mit Ihnen alles in Ordnung? Sie sehen heute so blass aus«, fragt sie freundlich.
    »Nein, nein. Bei mir ist alles bestens«, antworte ich und denke: »Bis auf die Tatsache, dass ich wieder einmal Andy auf den Leim gegangen bin, verdammt!«
    Die Tür geht auf, und Nina kommt hereingeschwebt, elfengleich, in einer dunkelblauen Marlenehose, einer weißen Schluppenbluse und dazu passenden Ballerinas. Mit ihrem roten Mund und den lackierten Nägeln sieht sie mal wieder aus, als wäre sie gerade einer Mode- oder Kosmetikreklame entsprungen.
    »Was ist denn passiert, Süße?« Sie kommt an meinen Tisch gehuscht, haucht mir ein Küsschen auf die Wange und lässt sich dann auf den Stuhl mir gegenüber sinken. Dann fällt ihr Blick auf das Cover des Magazins vor mir. »Oh, du liest die Stunning Looks?«, fragt sie verwundert. »Ich dachte, du hast Blättern wie diesem abgeschworen?«
    Ich schenke Nina einen finsteren Blick und schiebe mir trotzig eine Gabel voll Torte in den Mund. Und

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