Kann denn Lüge Sünde sein? (German Edition)
und gefährlich kühl.
»Also, so kann man das wirklich nicht sagen …«, versuche ich mich zu verteidigen. Plötzlich habe ich wieder zu meiner Stimme gefunden.
»Wie willst du diesen Übergriff denn sonst nennen? Ein Versehen? Hm, lass mich raten: Du hast einfach nur geputzt, und während des Staubwischens bist du – Hoppla – auf ein paar Tasten gekommen und hast damit unabsichtlich einen ganzen Artikel entstehen lassen?«
Wenn ich irgendetwas hasse, dann sind das Frauen, die genauso oder noch zickiger sind als ich. Und wenn sie meint, wir wären schon beim »Du« angekommen, dann bitte sehr. »Ich habe dir damals mehr oder weniger aus der Patsche geholfen«, erinnere ich sie.
Sie lacht gekünstelt auf. »So nennst du das also? Und das zweite Mal?«
»Offenbar warst du auch in diesem Fall dankbar für meinen Artikel«, traue ich mich zu erwidern. Ich ziehe die Stöpsel meines MP3-Players aus meinen Ohren, um mir ihre Feindseligkeiten ohne die Sportis im Hintergrund anhören zu können. Nicht, dass ich womöglich noch irgendwelche Nettigkeiten verpasse! Ruckartig zieht die Redakteurin die Beine vom Tisch und steht so schnell auf, dass sich ihr Stuhl noch einige Male um sich selbst dreht. Mein Herz rutscht mir in die Hose. Was, wenn sie mich mit einem ihrer High Heels erdolcht?
»Jetzt hör mir mal gut zu: Das hier ist mein Arbeitsplatz, an dem hast du rein gar nichts zu suchen, außer du wischst ihn ab – und das ist auch das höchste der Gefühle, haben wir uns verstanden? Ich lasse nicht zu, dass eine armselige Putzfrau meinen Job macht! Ich habe nicht umsonst so viele Jahre in meine Karriere investiert!«, zischt sie. Dabei kommt sie mir gefährlich nahe.
»Warum hast du dann meinen Text genommen und dafür gesorgt, dass er ins Heft kommt? Schließlich hat dich keiner dazu gezwungen, oder?«, wage ich entgegenzuhalten.
Einen Moment lang scheint die Redakteurin nach Worten zu suchen, denn sie funkelt mich nur stumm an. Dann hat sie ihre Sprache wiedergefunden. Leider.
»Es war eine Notsituation, das gebe ich zu. Ich habe zurzeit sehr viel Stress; mein Beruf ist etwas anspruchsvoller als deiner.« Herablassend mustert sie meinen Putzkittel. »Ich bin ausgelaugt und es hat mir an Ideen gefehlt, aber in diesem Job musst du funktionieren – immer! Hätte ich nichts abgeliefert, dann …« Diese Frau, die versucht, mich emotional wie physisch in die Enge zu treiben, schluckt und wirkt für einen Sekundenbruchteil richtig menschlich. Mir ist sofort klar, dass ein fehlender Artikel für sie das Todesurteil bedeutet hätte – und dass sie nicht zum ersten Mal versagt hat. Aber das würde sie mir gegenüber natürlich nie im Leben zugeben.
»Also, so wie ich das sehe, solltest du mir eher dankbar sein, anstatt mich jetzt so anzumachen.« Ich sehe ihr herausfordernd in die Augen.
»Bist du noch zu retten?«, faucht sie mich mit letzter Kraft an. Dann kommt aber völlige Erschöpfung über meine Kontrahentin, und sie beginnt zu taumeln. Sie ist ausgebrannt, nur noch ein Haufen Asche. Und angesichts dieser Tatsache reift in mir eine geradezu geniale Idee …
»Vielleicht könnten wir ja beide von dieser Sache hier profitieren«, wage ich zu sagen und geleite sie vorsichtig zu ihrem Stuhl.
»Auf keinen Fall! Du hast die längste Zeit diese Redaktionsräume geputzt, wenn du dich noch einmal an meinen Computer traust, das schwör ich dir!«, keift sie wieder los, aber ihre Stimme ist nicht mehr ganz so schneidend wie eben.
»Lass mich doch erst mal ausreden«, erwidere ich gelassen. Nachdem sie sich gesetzt hat, gehe ich ein paar Schritte im Raum auf und ab. »Was wäre, wenn du dir eine kleine Auszeit gönnst? Du brauchst sie dringend, das wissen wir beide.« Sie holt Luft und öffnet den Mund, um mir zu widersprechen, aber ich hebe die Hand, und sie hält inne. »Du tust also einfach weiterhin so, als wärst du die fleißige Biene, für die du dich ausgibst, und veröffentlichst weiterhin deine tolle Kolumne.« Ich suche ihren Blick, und Bingo , ich habe mit meiner Vermutung ins Schwarze getroffen! »Und anstatt deine ganze Energie zu verschwenden, um meinen Stil zu imitieren, lässt du mich einfach weiter die Artikel für dich schreiben. Wir bilden eine Art Symbiose!«
»Für mich bist du eher ein Parasit!«, erwidert mein Gegenüber schnippisch, und ich spüre, wie mich Gift und Galle dieser Frau immer mehr erschöpfen. Ich seufze.
»Na gut, dann lassen wir es eben. Vielleicht kommst du ja doch noch
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